denkenaufvorrat.de https://www.denkenaufvorrat.de/blog/ Sat, 27 Apr 2024 07:04:25 +0000 de-DE hourly 1 New Work, New Hierarchy https://www.denkenaufvorrat.de/blog/nw-nh/ https://www.denkenaufvorrat.de/blog/nw-nh/#comments Thu, 09 Nov 2023 19:00:16 +0000 New Work, Agilität, New Work Leadership, Liquid Leadership, New Hierarchy https://www.denkenaufvorrat.de/blog/nw-nh/ Weiterlesen

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Hier mal kurz zur Elefantenjagd. Welcher steht gerade im Raum?

Die Viecher sind nie sichtbar, weil Metaphern für Tabus. Über sie wird nicht geredet.

Bei agiler Arbeit und New Work ist so ziemlich das fernliegendste Thema überhaupt: die Hierarchie. Die Unternehmensspitze. Denn New Work - so wird es verkauft - bezieht sich doch gerade auf Mitte und Unten des Betriebs. Die sollen flexibler werden und für die jungen Generationen attraktiv sein.

Ach, wirklich?

Keine Frage, dass sich die Firmen wegen Arbeitnehmermärkten und Kräftemangel bewegen müssen. Recht absurd ist aber der geistige Salto Mortale, dass es »also« nur um den Körper der Organisation gehe und nicht um deren Kopf.

Preisfrage: Wenn der Körper anders handeln und sich verhalten soll, muss dann der Kopf nicht auch anders entscheiden und steuern?

Aus organisationslogischer Sicht ist die öffentliche New Work-Debatte grotesk. Die Welt liefert sich ein Rat-Race um das letzte agile Tool oder den geilsten kollaborativen Event, scheint sich jedoch für die Bedarfe der Firma,

  • unter welchen Voraussetzungen das Ganze langfristig überhaupt nur funktionieren kann, sowie
  • wie die Hierarchie denn dann entscheiden und lenken muss,

kaum zu interessieren.

Ob das New Work fördert? Wir glauben das nicht. New Work wird unsere Hierarchien von innen heraus umformatieren. Wer New Work substanziell verankern will, muss über die Spitze reden.

#newworknotwithoutnewhierarchy

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New Work im Frühsommer 2023 https://www.denkenaufvorrat.de/blog/new-work-2023/ https://www.denkenaufvorrat.de/blog/new-work-2023/#comments Tue, 30 May 2023 14:38:00 +0000 New Work, Agilität, New Work Leadership, Liquid Leadership, https://www.denkenaufvorrat.de/blog/new-work-2023/ Weiterlesen

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Kürzlich ist das New Work-Barometer 2022 erschienen – mit wieder interessanten Insights aus der agilen Szene (581 Unternehmensrepräsentanten*; die meisten aus größeren KMU 20% und Unternehmen bis 10.000 MA, 24,8%. 54,9% davon Führungskräfte.)

Zwei Aspekte daraus:

1. Wofür New Work steht

Frithjof Bergmann, der Erfinder von New Work, hätte wenig Freude an den Ergebnissen. Im Vergleich zu drei weiteren Definitionen von New Work neben seinem eigenen Konzept (Bezug zur New Work Charta, psychologisches Empowerment im Fokus, Arbeitszeit-/Arbeitsort-Autonomie) ist Bergmann im Sinkflug. Interessant: Mitarbeitende finden das Ursprungskonzept jedoch deutlich attraktiver als Führungskräfte. Und: Homeoffice- / Remote-Themen definieren stark das aktuelle New Work-Verständnis.

New Work steht für mehr Freiheit, Selbstbestimmung, Entscheidungshoheit über Arbeitszeit und -ort. Für Mitarbeiterbeteiligung, grundlegenden Kulturwandel, neue Führung und Status quo-Veränderung steht es nicht - Entscheidungs- und Verteilungsmacht sind nicht der Fokus. Führungskräfte werten hingegen zwei Items hoch: die Ausgabe von mobilen Technologien und transformationale Führung. Die Autoren: „Einem Mitarbeitenden einen Laptop zu überreichen, verändert nichts an den Machtverhältnissen in einer Organisation. Und auch transformationale Führungskräfte müssen keine Macht abgeben.“

Das mag harsch formuliert sein, zeigt aber einen interessanten Punkt: Die Konsequenzen von New Work für die internen Machtverhältnisse ist ein großes schwarzes Loch: Tabu und Angstpunkt. Es ist völlig offen, ob der überhaupt berechtigt ist – zur Zeit tanzen jedenfalls viele um diesen heiklen Punkt großräumig herum.

2. Was New Work am meisten fördert

Gefragt wurde auch, welche der vier Dimensionen des psychologischen Empowermentkonzepts die Unternehmen mit ihren New-Work-Maßnahmen fördern: die Kompetenz der Mitarbeitenden, die Selbstbestimmung der Mitarbeitenden, ihren Einfluss oder ihr Sinnerleben. Was triggert New Work aus Sicht der Befragten am meisten?

aus New Work Barometer 2022

Während viele wahrnehmen, dass New Work das Selbstbestimmungserleben stärkt, sieht das nur eine Minderheit auch für das Einfluss- bzw. Machterleben. Auch hier zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden – für Letztere tut sich in diesem Punkt wenig. Auch dies ist ein „Weak Signal“ für ausgesparte New Work-Dimensionen, an die sich momentan kaum jemand herantraut. (Nebenbei: Der Purpose-Hype ist wohl auch schon wieder vorbei: deutlich rückläufig im Vergleich zur letzten Befragung.)

Fazit

Die Studie birgt viele Indikatoren für kulturelle Reibungsverluste bei New Work (darüber schrieben wir ausführlich hier). Unsere Hypothese: Das liegt nicht zuletzt an der Fachdebatte, die über New Work geführt wird. Man kann dieses Konzept zum neoliberalen Motivations-Booster verzwergen, die öffentliche Debatte stellt genau diese Merkmale ins Zentrum. In der Studie finden sich Anhaltspunkte dafür, dass dem strategisch zumindest teilweise auch so ist. 

Gleichermaßen findet man Anhaltspunkte dafür, dass die Mitarbeiterschaft davon weit weniger begeistert ist als die Führungsebene. Ist New Work nur ein Feigenblatt für verunsicherte Firmen in der Post-Corona-Zeit und einer Störfall-Wirtschaft, die schlicht neue motivationale Energien und Ideen sucht und findet, um das alte Perfomance-Steigerungsspiel weiter fortsetzen zu können – jetzt (evtl. auch nur vorübergehend) mit Sinn und Empowerment?

Vielleicht auch nicht. In diesem positiven Fall müssten sich die Unternehmen über Kräftemangel, nachlassende Bindung, Quiet Quitting und andere unangenehme HR-Trends nicht mehr so viele Gedanken machen und könnten sich zuversichtlich der Zukunft des Arbeitens entgegensehen. (Tun sie bloß nicht.)

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Feministische Außenpolitik und ihr Führungsverständnis https://www.denkenaufvorrat.de/blog/feministische-aussenpolitik/ https://www.denkenaufvorrat.de/blog/feministische-aussenpolitik/#comments Sun, 26 Feb 2023 18:30:00 +0000 Leadership, Führungskompetenz, Future Skills, geistige Führung https://www.denkenaufvorrat.de/blog/feministische-aussenpolitik/ Weiterlesen

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Seit 1. März gibt es im Außenministerium den habituell einzuschleifenden "feministischen Reflex", inklusive Trainerin (eine "Beauftragte im Rang einer Botschafterin", SZ). Foreign policy goes feminist. Sind wir außengesellschaftlich nun politikfähiger? 

Early Warning: Bemessen am Job eines Außenministeriums: Im Gegenteil. Bemessen am eigenen Weltbildchen: Unbedingt.

Grund der Frage

Der westliche Kulturkreis hat vor ca. 250 Jahren eine steile Idee entwickelt. Auf schlau nennt sie sich „universalistischer Geltungsanspruch“. WaszurHölle ist das? Er bezeichnet die Überzeugung von Westlern, dass die eigenen Werte so grandios sind, dass sie für jeden Zweibeiner auf diesem Planeten handlungsleitend und verbindlich sein können. Verzeihung: sollen. Meint: Diese Werte gelten für alle.

Beispiele:

  • Freiheit
  • Gleichheit
  • Demokratie
  • Fairness und Gerechtigkeit 
  • Friedliche Koexistenz, Friedenserhalt
  • Menschenrechte
  • generell verbindliche Rechtsstandards (Rechtsstaat usw.) …

Ich finde sie auch großartig. Bloß sind nicht alle Menschen auf diesem Planeten Okzidentale. Und mit dieser Einsicht ensteht ein Problem.

Das Problem

Zwar wird es keinen Zweibeiner geben, der die Legitimität und Relevanz dieser Werte bestreitet. Es gibt jedoch eine Menge Kulturen und Gesellschaften, für die unsere Werte in deren Präferenzliste nicht oben auf der Agenda stehen. Sind die nur blöd, renitent oder gar verrückt?

Beispiele:

• Viele Gesellschaften basieren auf kulturellen Werten, die religiös, kollektivistisch, über Jahrhunderte traditionell gewachsen oder anderweitig für diese Gruppe ethisch verpflichtend sind (so wie unsere Werte für uns). So ist z.B. in kollektivistischen Kulturen die Gruppe wichtiger als der Einzelne. Oder die Dorfgemeinschaft und deren Zusammenhalt in einer unwirtlichen Umgebung wichtiger als das Individuum. Freiheit finden alle gut – aber in solchen kulturellen Rahmen steht sie entweder weiter unten im Werte-Ranking oder, was meistens hinzukommt, bedeutet etwas anderes als bei uns.

• Analoges gilt für Fairness und Gleichheit. Steht die Gruppe im Vordergrund, verändern sich die Maßstäbe für das, was als fair und gerecht gilt. In China etwa lautet der Maßstab 1,4 Milliarden Menschen.

• Einige Gesellschaften befinden sich in einem Dauerkriegszustand, der sich in eine Art Normalität verwandelt hat (die niemand wollte und will). Frieden ist ein hehrer Wert, derzeit für diese aber nicht erreichbar. Und in kriegerischen Situationen zählt dann logischerweise anderes. Einem Volk im Krieg die hohe Bedeutung von Frieden zu erklären ist … wenig hilfreich.

• Menschenrechte und Rechtsstandards sind eine feine Sache, die sich viele andere Gesellschaften auch wünschen – z.B., weil deren Eliten korrupt sind oder, wie im Iran, die Eliten andere Vorstellungen von Rechten haben als die Bevölkerung. – Offenbar passiert uns im Westen so etwas nicht, daher reklamieren wir sie auch so selbstbewusst. Da muss man halt den Staat gut genug organisieren! (Menschenrechte am Mittelmeer? Guantanamo?...) 🤣😂😅

Die Reaktion unserer Führungs- und Wissenseliten auf das Begeisterungsdefizit der Anderen

Mit Führungseliten meine ich Politik- und Wirtschaftslenker*innen, mit Wissenseliten die akademische Zunft. Erstere machen den universalistischen Geltungsanspruch nun fit für das 21. Jahrhundert. Motto: Jetzt erst recht! »Normative Standards des Westens für alle« war gestern, inzwischen hängt die Latte höher. Unsere Außenpolitik erfindet sich neu, sie will jetzt bei den Anderen – also durch ihren Auftrag, Beziehungen zu anderen Ländern zu stiften, zu stabilisieren und zu verbessern – nicht mehr nur die (ohnehin schon unbescheidene) obige Werteliste etablieren. Ab jetzt werden auch unsere jeweils neuesten geistigen Ansprüche in die Welt getragen, denn der »Mensch« in den »Menschen«rechten, haben wir im Westen inzwischen gelernt, ist höchst divers. Peter Neumann nennt das in der ZEIT „ein neues Selbstbewusstsein des Westens und Europas“. Na endlich.

Ich stelle mir das so vor:

Frau Baerbock reist in den Iran zu den Mullahs, hält einen Vortrag über Cis-Männer und Transgender und in diesem Zuge auch über die Prämisse von all dem, nämlich dass dafür aber wenigstens die Frauenrechte geachtet werden müssen. Wir werden staunen dürfen, wie gut sich auf diesem Humus eine friedliche Koexistenz multikultureller und multiperspektivischer außenpolitischer Beziehungen mit anderen Völkern entwickelt. Wie warmherzig sich Kommunikationen gestalten, die normative Augenhöhe von vornherein qua Politiklabel („Feministische Außenpolitik“) ausschließen. Wie professionell und kompetent außenpolitisches Beziehungsmanagement wahrgenommen wird und funktioniert, wenn man Andersdenkenden bei der Antrittsrede gleich mal die Welt erklärt (wir üben das bei jedem Staatsbesuch in China), klar zu erkennen gibt, wer hier moralisch den Hut auf hat und die Brand »Western World« im guten alten »universalistischen« Sinne (jetzt nur noch ein bisschen differenzierter und selbstbewusster) tiefer einbrennt.

Fortschrittswarnung: Der Westen weiß jetzt, wie Multi-Krisen besänftigt werden

In Kriegszeiten ist das eine mutige Strategie. Experimentieren ist bekanntlich »in«, vielleicht möchte das Außenministerium nicht nachstehen und modern und gendergerecht Flagge zeigen. Da fühlt man sich von der politischen Führung gleich gut vertreten und entspannt sich, es kann losgehen mit dem Frieden. Wer sind wir denn, dass wir uns von Kontrahenten auch nur einen Centimeter unseres Weltbildes streitig machen ließen? Die Verhandlungsposition von vornherein markieren: »Hier bewegt sich nur einer, und der Westen wird es nicht sein« - so geht ab sofort Augenhöhe, jetzt auf selbstbewusst.

Um dem Stammtischreflex gleich entgegenzutreten: Nein, das bedeutet nicht, sogar Putin verstehen zu sollen und unterschiedslos Empathie über die Welt zu kippen. Es bedeutet, im Gegensatz zu bisher unsere Außenbeziehungen langfristig als anschlussfähige aufzubauen, sie inklusiv zu gestalten - also daran zu arbeiten, peu à peu immer mehr und neue »Links« zu erzeugen, über die Beziehungen laufen können. Von Handel bis Kultur-Partnerschaften. Ein solches »Schnittstellenmanagement« erfordert eine Menge Wissen und echtes Interesse am Anderen, um vorhandene Link-Bereiche (Wirtschaft, Asylthemen usw.) nicht nur fortzuführen, sondern das Link-System systematisch zu erweitern und zu verdichten. So etwas passiert niemals nebenbei. Es ist kein »non-intended by-product«, über das sich Jahrzehnte später alle freuen, sondern harte Arbeit. - Und wir? Bleiben uns treu. Wir investieren in Exklusivität. Im Westen ging es beim Außen noch nie zuerst um die Anderen, sondern erst mal um uns.

Nachgereicht: Was hat der Homo academicus mit all dem zu tun? Nun, er hat den moralischen Universalismus, der die Politik füttert, seit den 1960er Jahren hochgerüstet und feinkalibriert. Sofern wir nur zu uns selbst, also der Westen zum Westen, sprechen, ist daran nichts auszusetzen. Dass unsere Achtsamkeit gegenüber bisher tabuisierten Diskriminierungen wächst, dass wir nicht nur auf Frauenrechte, sondern inzwischen auch auf diverse Minderheiten schauen, ist eine gute Entwicklung. Für uns. Innerhalb des großen Westens stufen wir unser Bewusstsein für unsere eigenen normativen Standards weiter auf – darauf dürfen wir stolz sein, unkontrovers.

Zeitenwende-Preisfrage: Was ist mit den Anderen? Die sind ja »noch nicht so weit« - werden die jetzt »noch egaler«? Zumindest das Außenministerium weiß die Antwort: Licht aus zwischen den Ohren, sich nicht irritieren lassen und nur umso selbstüberzeugter weitermachen. Je härter die Zeiten, desto engstirniger der geistige Radius – sa sdarówje auf den Confirmation-Bias.

Zukunft

So wird der Westen also selbstbewusst. Zukunftsforscherisch war das anders gedacht. Sogar der Universalist Jürgen Habermas, bekannt u.a. als unermüdlicher Zulieferer westlich-allgemeingültiger Werte-Standards, hat kürzlich in der Süddeutschen Zeitung – entgegen der eigenwilligen Idee unserer politischen Führung, inmitten einer ungewissen europäischen Kriegssituation einen Selbstbewusstseins-Booster zu zünden – zu mehr Vorsicht und Weitsicht gemahnt. Daraufhin sind in der Universalismus-Republik eine ganze Reihe geistiger Drähte durchgebrannt. Merke: Sogar die universalistischen Norm-Lieferanten der etablierten westlichen Strategie bekommen inzwischen Angst vor der eigenen Courage: So hatten sie sich die Sache offenbar selbst nicht vorgestellt. Dass in einer globalen, kommunikationspolitisch schrumpfenden Welt die westliche Haltung gegenüber den normativen Grundlagen Anderer inzwischen zu einer Verweigerungsideologie mutiert ist, sich - programmatisch! - mit den Aspirationen anderer Menschen überhaupt auseinanderzusetzen, erzeugt Nachdenklichkeit; bis hin zu feiner Nachjustierung der eigenen vormaligen Position. Die Irritation: Ein von staatlichen Führungseliten stolz zur Schau getragenes Postkolonialismus-Marketing hatten wir bisher noch nicht. Und die Leitmedien applaudieren.

Unsere bisherige Universalismus-Attitüde aus dem 19. Jahrhundert (der unschöne, aber ehrliche Traditionsname ›Kolonialismus‹ ist inzwischen tabu) hatte sich immerhin noch darum bemüht, das westliche Ziel des ganzen Antritts gerade zu vernebeln, unter den Teppich zu kehren und als westlich-humanistisches Bildungsangebot für mental Zurückgebliebene zu inszenieren. Und Homo academicus lieferte bislang genau dafür auch zuverlässig den begrifflichen Flankenschutz, z. B. „nachholende Modernisierung“ (damals noch von? Jürgen Habermas). Auf schlau klingt das auch gleich viel besser, edler – wir meinen es doch nur gut!

Offenbar bricht nun aber die geistige Supply-Chain ein. Den ersten reicht's. Aber auch wir selbst – zuversichtlich-hoffnungsfroh, wie Zukunftsforscher zumeist sind – dachten bisher, der Westen würde seine übergriffige normative Missachtung Anderer ablegen und eben dies als Weiterentwicklung begreifen und anstreben. (Ich unterstelle Herrn Habermas inzwischen, dass er das wohl auch so ähnlich erhoffte.) Nun, man lernt nie aus. Was wir ablegen, ist nicht das über-Andere-Hingwegsehen, sondern unser verdruckstes Mindset, in dem wir das bisher praktiziert haben! Wir wechseln einfach überkommene, heute provokante Label aus und schreiten fort, indem wir den alten Sermon künftig nur selbstbewusster verkaufen. 

Ob der Westen damit

  • Freiheit
  • Gleichheit
  • Demokratie
  • Fairness und Gerechtigkeit
  • Friedliche Koexistenz, Friedenserhalt
  • Menschenrechte
  • generell verbindliche Rechtsstandards (Rechtsstaat usw.) …

sichert, werden wir alle erleben. Außenpolitisch signalisiert die Bilanz dieser Strategie des Westens in den letzten 20 Jahren – vom Irak über Afghanistan bis zur Demokratisierung von »Greater Middle East« – eher Luft nach oben. Aber vielleicht klappt's ja jetzt stramm feministisch besser.

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ChatGPT: Zukunftsforscherische Einschätzung https://www.denkenaufvorrat.de/blog/chatgpt/ https://www.denkenaufvorrat.de/blog/chatgpt/#comments Thu, 26 Jan 2023 16:01:00 +0000 KI, Strong AI, Dystopien https://www.denkenaufvorrat.de/blog/chatgpt/ Weiterlesen

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Die neue KI macht derzeit die (nicht nur IT-) Welt verrückt. Amerikaner jazzen bereits den nächsten „iPhone-Moment“ hoch.

Was ist die »Revolution« daran?

Sie schreibt Code, wissenschaftliche und journalistische Texte, löst Mathe-Aufgaben, verfasst Drehbücher und nimmt Stellung zu so ziemlich jeder »komplexen« Frage. Während wir geistigen Kretins gerade bei Letzterem leicht in Versuchung geraten, vor uns hinzuschwurbeln, haut sie ordentliche Textbausteine ‘raus.

Ist das tatsächlich eine Revolution?

1. Für sehr viele alltägliche Leistungen und Aufgaben: Ja. Und zwar mehrheitlich eine positive.

Wären wir als Gesellschaft imstande, bereits automatisch, wie selbstverständlich, einzupreisen, dass eine gelöste Aufgabe auch von ChatGPT stammen könnte, wäre das alles kaum problematisch. Mal abgesehen von offenen Bildungsfragen (Bildungsinstitutionen können beispielsweise die Prüfungsform »Hausarbeit« im Wesentlichen vergessen oder müssen sie grundüberholen – was nicht in allen Fächern sinnvoll oder möglich ist): Für den größeren Rest an denkbaren Aufgaben für ChatGPT ist so eine Maschine vor allem eines: Nützlich. Sie spart Zeit, mindert Konzentrationsaufwand und den energieraubenden „Sägeblatt-Effekt“ für das Gehirn (ständig unterbrochen werden, mehrere Aufgaben gleichzeitig erledigen und dazwischen springen müssen, inhaltsreiche Aufgaben »in Kette« erledigen müssen, etwa Artikel schreiben u.a.m.). Diese KI erleichtert geistigen Aufwand, beschleunigt Prozesse und hat ein Niveau, das akzeptabel ist – mit anderen Worten, die Ergebnisse sind »okay« bis »gut«. Viele Menschen schaffen auch nichts Besseres.

Der Schock über das System resultiert also nicht aus dessen Leistungsradius, sondern aus bislang unkalkulierbaren Effekten 

  • für Arbeitsmärkte 
  • für die Debatte über Kompetenzen, klassische Skills und »Future Skills« (wie weit reichen hier die Fähigkeiten von ChatGPT, etwa bezüglich Komplexitätsurteilen? Übersteigen sie unsere teilweise sogar?) 
  • und für dystopische, jedoch hoch relevante Fragen nach Langfristeffekten (was genau kann ChatGPT eigentlich definitiv besser als wir? Oder anders – ist sie z. B. auf ihre Art »kreativ«?).

Diese Fragen sind beunruhigend, aber auch keine ewige Black Box bzw. Hexenwerk, derlei herauszubekommen. Das wird schnell geprüft werden – warum? Weil wir dazu die »richtigen« Fragen kennen. Ganz einfach.

Es gibt aber noch eine andere Dimension dieser Entwicklung.

KI big data fuer kuenstliche intelligenz entscheidend 3 shutterstock e1456916309948

Ist es nun eine Revolution oder nicht?

2. Für Klima und Verständigung einer Gesellschaft mit sich selbst: Unter Umständen ebenfalls Ja. Aber das ist ein unklares bis dystopisches.

Um nicht lange beschreiben zu müssen, was gemeint ist, hier ein Beispiel. Ein Futurist fragte die Maschine:

Was sind die möglichen sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen einer weit verbreiteten Automatisierung?

ChatGPT: Die potenziellen sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen einer weit verbreiteten Automatisierung sind komplex und vielschichtig und hängen von den spezifischen Technologien und Branchen ab, die automatisiert werden. Einige mögliche Auswirkungen der Automatisierung sind:

• Gesteigerte Produktivität und Effizienz: Die Automatisierung kann zu höherer Produktivität und Effizienz führen, da Maschinen Aufgaben schneller und präziser erledigen können als Menschen. Dies könnte zu Kosteneinsparungen für Unternehmen und höheren Gewinnen führen.

• Verdrängung von Arbeitsplätzen: Die Automatisierung kann zur Verdrängung von Arbeitsplätzen führen, da Maschinen Aufgaben übernehmen können, die zuvor von Menschen erledigt wurden. Dies könnte bei einigen Arbeitnehmern zu Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung führen, insbesondere in Branchen, die stark automatisiert sind.

• Veränderungen in der Art der Arbeit: Die Automatisierung kann zu Veränderungen in der Art der Arbeit führen, da Maschinen in der Lage sind, Aufgaben zu übernehmen, die früher von Menschen erledigt wurden. Dies könnte zu einer Verlagerung hin zu höher qualifizierten und besser bezahlten Arbeitsplätzen führen, die mehr Bildung und Ausbildung erfordern.

• Ungleichheit: Die Automatisierung könnte bestehende Ungleichheiten verschärfen, da diejenigen, die bereits benachteiligt sind, weniger in der Lage sind, sich an die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt anzupassen, und anfälliger für Arbeitsplatzverlagerungen sein könnten.

Insgesamt werden die Auswirkungen der Automatisierung auf die Gesellschaft und die Wirtschaft davon abhängen, wie sie umgesetzt wird und wie die Vorteile der erhöhten Produktivität und Effizienz verteilt werden. Es wird auch wichtig sein, politische Maßnahmen und Strategien in Betracht zu ziehen, um die potenziellen negativen Auswirkungen der Automatisierung, wie z. B. die Verdrängung von Arbeitsplätzen und Ungleichheit, anzugehen.


Das ist die Level-Kennzeichnung, die ich oben meinte: »Okay« bis »gut« – der Mainstream des aktuellen Journalismus zu diesem Thema. Dass Unternehmen aus ökonomischen Gründen Maschinen nutzen, dass das Arbeitsplätze gefährdet, dass das wiederum zu mehr Ungleichheit führt und wir daher politische Regelungen brauchen, um die abzufedern – geschenkt. Die meisten kommen im nüchternen Zustand selbst drauf.

Wo »sitzt« also die Revolution?

Was bedeutet es, wenn der öffentliche Kommunikationsraum mit diesem Niveau von Aussagen, mit solcher »Expertise« (‚ich hab ChatGPT gefragt…!‘), kalkulatorischen Intelligenz (Maschinen haben nahezu immer einen größeren Überblick als wir) geflutet wird? Die einen könnten sagen: »Fortschritt! Ich lese häufig deutlich größeren Blödsinn zu diesem Thema!“ Was sein mag. Andere könnten aber auch sagen: »Offenbar sind sich zum Thema alle einig. Ich höre nichts anderes dazu, und wenn das so ist, dann machen wir jetzt x, y, z, und die Gefahren sind gebannt«.

Wäre das »gut«? Und wohin führt das?

Maschinen werden von IT’lern ihrer Zeit programmiert. Der obige Textbaustein von ChatGPT ist nichts anderes als eine neue Echokammer im erweiterten Radius von der gerade zeitgeistigen Weltbild-Blase zum Thema. ChatGPT spiegelt das genormte Weltbild in relativ niveauvoller Form und Struktur einfach nochmal zurück. Ein Norm-Booster.

Als Zukunftsforscher könnten wir weiter fragen und z. B. Chancen und Risiken identifizieren lassen. Und sicherlich werden wir eine erste Liste mit Treibern erstellen können – auf dem Niveau derjenigen Themen und Fragen, die wir ohnehin bereits kennen. Denn genau deswegen kennt sie auch ChatGPT.

Die unbekannte Frage

Können Transformationsgesellschaften mit dieser Art von technologischer Evolution erfolgreich sein und heil durch die Zukunft kommen? Dass wir uns – anstatt durch geistige Arbeit unseren kognitiven Radius zu erweitern, unsere blinden Flecke systematisch zu verkleinern – allmählich dahingehend »einsozialisieren«, durch Maschinen den Mainstream feinkalibrieren und verdichten zu lassen, und uns dann in unserem Handeln darauf – weil durch »Künstliche Intelligenz« ja qualifiziert – stützen? Ist geistige Einhegung durch KI erstrebenswert?

Trend ist sie in jedem Fall. Denn kaum anderes spiegelt der obige Textbaustein zurück, als ein Widerkäuen von Allgemeinplätzen, die als solche nur deswegen im Alltag kaum auffallen, weil sie ordentlich in Form gebracht und argumentativ logisch in Linie gebracht wurden. Ein eigenes Feld von Zukunftsforschung beschäftigt sich mit Wild Cards von KI. Eine prominente davon: Dass menschliche Kulturen über die Zeit dramatisch verdummen. Nicht nur nehmen uns Maschinen künftig Vieles ab, für das wir dankbar sind, weil es um monotone, öde, gesundheitsschädliche oder kräftezehrende Jobs geht. Deswegen bauen wir sie ja.

Die immer im toten Winkel bleibende Gefahr (nicht Risiko!) ist jedoch, dass wir in Sachen Verlässlichkeit der KI, Bequemlichkeit unserer selbst, Respekt vor immensen »geistigen« Kapazitäten und ganz banal: Neugier, völlig neuartige kultureller Bias-Strukturen ausbilden könnten. Das menschliche Gehirn ist so gebaut, dass es Aufwand meidet (zu hohe energetische Kosten). Wenn wir Maschinen erlauben, die dieses biologische Merkmal bedienen – was ja nicht stimmt: sie triggern es! – und gleichzeitig den Adel von immenser »Intellligenz« (die sogar höher ist als unsere) legitim, ja statusrelevant werden lassen, bauen wir Geist und Bewusstsein zurück.

Die Haupt-Gefahr solcher KI’s liegt nicht in den Maschinen selbst. Sie liegt in der evolutionsbiologischen Reaktionsbildung von Homo sapiens auf sie. Die ist derzeit noch nicht abschätzbar; wir haben jedoch erste weak signals. Da sich bislang für die Neuentwicklung hierfür geeigneter kultureller, kommunikativer Sozialkontrollen (zumindest öffentlich wahrnehmbar) niemand interessiert und darum kümmert (reine Investition, null ökonomischer Gewinn – bloß die unsichere Option unserer Existenzsicherung), ist ChatGPT selbst zwar keine Revolution. Aber möglicherweise eine erste organisatorische Basis dafür. Wir gehen mit ihr – vielleicht – einen gewaltigen nächsten Schritt in Richtung soziokultureller Vereingeistigung und Selbst-Normierung. 

Das einzige, was dabei sicher ist: Die IT-Welt wird dieses Problem nicht lösen, dazu ist sie qua Aufstellung, Sozialisationsmuster und technologischer Grundorientierung weder willens noch in der Lage: Sie hat ganz einfach einen anderen Auftrag. Dafür bräuchten wir substanziellere geistige Investitionen. Wanted. Wer will? Wo sind Anthropologen*, Soziologen*, Kognitionswissenschaftler*, Verhaltensökonomen* und Kybernetiker*, die sich der zentralen Frage widmen?

Lesetipp: »KI fressen Seele auf - Motive und Hintergründe zu Dystopien über Maschinenintelligenz«, Kap. 7

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Führungstrends 2023: Was aktuell HR und Führung beobachten https://www.denkenaufvorrat.de/blog/fuehrungstrends-2023/ https://www.denkenaufvorrat.de/blog/fuehrungstrends-2023/#comments Tue, 24 Jan 2023 14:28:00 +0000 Beziehungsmanagement, UWE, Unique Working Experience, New Leadership https://www.denkenaufvorrat.de/blog/fuehrungstrends-2023/ Weiterlesen

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Aktuell gibt es in HR & Leadership wenig positive Trends. Die Gesundheitswirtschaft schaut mit Sorge in die Zukunft (hohe Wechsel- und sogar Ausstiegsbereitschaft). Generell interessieren sich 48% der deutschen Arbeitnehmer für einen Jobwechsel, wenn auch das Engagement dafür (sich bewerben oder auf eine gute Gelegenheit warten) unterschiedlich ist.

Die Amerikaner kennen dieses Phänomen aus 2020 / 2021 unter dem Label „Great Resignation“: Millionen Arbeitnehmer*innen haben während der Pandemie gekündigt, weil sie die Arbeitsbedingungen nicht länger hinnehmen wollten. Nachdem hin und her diskutiert wurde, ob dieses Phänomen auch nach Europa schwappt, wissen wir inzwischen Bescheid: Ja. Aber bei uns sieht es struktureller aus, weniger ereignisgetrieben. Etwas scheint ganz prinzipiell umzubrechen: Nicht nur, dass jüngere Generationen andere Erwartungen an ihre Arbeitgeber adressieren, sondern auch viele Ältere prüfen ihre Optionen, früher aus dem Job auszusteigen oder noch eine späte, neue Karriere zu beginnen, die dann über den Renteneintritt hinaus reicht. Klassische Lebensabschnittszäsuren erodieren – die Multi-Krise beschleunigt Werte- und Verhaltenswandel.

Und sonst? 

Neue Phänomene sind

• Ghosting (die bereits kontaktierte oder sogar eingeladene Bewerberin meldet sich nicht mehr. Kein Telefon, keine Mails – Person verschwunden)

• Quiet Quitting (die stille Kündigung, die unausgesprochen so lange die Tätigkeit grundiert, bis die Person etwas Neues gefunden hat und geht)

• Quiet Firing (hilfslose oder überforderte Führungskräfte, die Arbeitnehmer*innen, die z. B. personalrechtlich kaum kündbar sind, mehr oder weniger subtil aus der Firma herausmobben; die also still, unausgesprochen kündigen)

Worauf das hinausläuft?

Auf eine künftige Führung, die – ob sie das nun will oder nicht – in Beziehung und glaubwürdige Bindung investieren muss. Es ist nicht zu sehen, wie es Unternehmen gelingen soll, Personal zu halten (falls sie denn welches bekommen), wenn sie ihren Leuten nicht ein berufliches Umfeld bieten, das das Bleiben lohnt.

Wie wäre ein solches Umfeld?

Kolleg*innen, die man gut kennenlernen kann, weil jeder weiß und versteht, was die Führungskraft will. Weil sich aufgrund der Zieltransparenz alle verständigen müssen, wie das realisiert werden kann – und jeder gern dazu bereit ist und Lust darauf hat, weil die Ziele plausibel sind. Man kann sie verstehen, sie stehen nicht bloß im Mitarbeiter-Gesprächsbogen. Weil es mehr Sinn macht, das gemeinsam zu versuchen, den für alle besten und gesündesten Weg dorthin zu finden, als im jeder-für-sich-Modus gegen die anderen Energie zu verschwenden und abends ausgelaugt aus dem Büro zu wanken. Und weil das irgendwie auch Spaß macht: Alle arbeiten in die gleiche Richtung und nicht gegeneinander. Es gibt eher selten Schnittstellenprobleme, krasse Missverständnisse oder Aneinandervorbeireden. Mittagspausen und Betriebsmeetings genießen die meisten. Das Umfeld pusht einen und zieht nicht ‘runter, die Kollegen geben Energie und rauben sie nicht (oder vergleichsweise selten).

Fuehrungs Trends 2 Praesentation 16 9

Es gibt Neues unter der Sonne

Eine solche Führungsökologie ist Zukunftsmusik. Sie hat eigene Führungsmethoden und -techniken und steuert mittels der Gestaltung von Beziehungen, nicht qua Expertise, Wissen, Kompetenzen, Skills. Etwa

  • durch Umwelt (Arbeitsumgebung), 
  • durch Fokus (geführt wird Aufmerksamkeit, das »Bewusstsein« der Organisation), und 
  • durch Gefühlsmanagement (kongruente Gefühle erzeugen). 

Was hier hochdreht, sind Verhaltensökonomik und Kognitionswissen. Führung geht endlich auch beziehungstechnisch in die Tiefe - wenn das kein positiver Trend ist!

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Wie soll eine Managerin wissen, wann ein fundamentaler Wandel erforderlich ist? https://www.denkenaufvorrat.de/blog/wann-ist-wandel/ https://www.denkenaufvorrat.de/blog/wann-ist-wandel/#comments Fri, 19 Aug 2022 15:21:38 +0000 Krisenwahrnehmung, Wandel erkennen https://www.denkenaufvorrat.de/blog/wann-ist-wandel/ Weiterlesen

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Wenn Organisationen lernen sollen, müssen Führungskräfte eine präzise Wahrnehmung haben. 

Lernen beginnt mit Wahrnehmung.

Unsere perzeptive Abgestumpftheit ist jedoch derart fortgeschritten, dass wir bei Störereignissen wie einer Pandemie als Führungskraft in Team oder Bereich teilweise paralysiert sind. Wir bekommen gar nicht mit, was in der Gruppe los ist. Eine solche Führungsperson kalibriert ihre Umwelt an BWL, nicht an Menschen. Natürlich, Sie haben Ihr Business im Griff. Aber haben Sie auch eine Ausbildung genossen, die uns Menschenbedürfnisse realisieren lässt? Die wenigsten haben das. Die meisten können bloß gut rechnen. (U.a. deswegen existiert der Schlachtruf »Betriebswirtschaftsleere«.)

Mal genauer: Die Erklärungsmuster für diese Unfähigkeit

  1. Beliebt in Medien und Öffentlichkeit: Manager sind dumm. Warum haben Großunternehmen wie Nokia oder Kodak nicht vorhergesehen, dass die Digitalisierung kommt? Wieso sind die großen Versandhäuser der Vor-Jahrtausendwende an der neuen Zeit gescheitert? Warum hat die Politik Putin Jahre lang hofiert und »machen lassen«? – Besonders überzeugend ist das nicht, aber dieser Glaubenssatz hat viele Anhänger*. Letztlich spielt er sachlich keine Rolle: Es geht gar nicht um die Intelligenz einzelner Manager, sondern um deren Fähigkeit, die Intelligenz des Unternehmens anzuzapfen.
  2. Ebenfalls beliebt: Wir könnten nur etwas erkennen, wenn eine Krise uns die Augen öffnet. Veränderung geschähe nur unter einem immensen Leidensdruck – durch einen langen, tiefen Schmerz. Von sich aus würden sich Menschen nicht verändern. – Interessantes Menschenbild: Wenn eine Krise naht, ist der Manager völlig machtlos. Es muss erst Schmerz her...
  3. Wir nehmen nur wahr, was wir schon kennen. Das würde bedeuten, dass alte Unternehmen grundsätzlich im Vorteil gegenüber den Jüngeren wären, zumindest, wenn flexibles Handeln geboten ist (größerer Erfahrungsschatz). Siehe (1): Es passiert aber ständig, dass alte Unternehmen die Zeichen der Zeit übersehen. Wie Statistiken belegen, sind sie genauso anfällig für Krisen wie neuere Unternehmen.
  4. Wir sehen nicht, was wir emotional nicht wahrhaben wollen. Vorausschauendes Handeln ist tatsächlich emotional schwierig. Aber diese Hürde kann nicht übermächtig sein, sonst würden sich Unternehmen niemals ändern. Und was machen diejenigen Firmen anders, die sich in Weltklasse-Dimensionen anpassen und wandeln? Sie setzen auf Menschen und ihre Wahrnehmung, nicht auf »das« Unternehmen. Die Fähigkeit zu vorausschauendem Denken ist bei Menschen weit besser entwickelt als bei Organisationen.
  5. Und was sagt die Zukunftsforschung? Wir erkennen nur, was für unsere Zukunftsvorstellung bedeutsam ist. Wir nehmen etwas als bedeutsam nur wahr, wenn es sich auf bedeutungsvolle Weise in ein Erscheinungsbild einfügt, das wir uns von einer vorweggenommenen Zukunft gemacht haben. Eine Kompetenz des menschlichen Gehirns: Es entwirft in jedem Augenblick Zeitpfade in eine mögliche Zukunft (Überlebensinstinkt, mitlaufende Früherkennung von Gefahr). Es speichert sie und wir besuchen sie, wenn etwas Neues passiert. Heißt: Wir kalibrieren die neue Erfahrung an dem gespeicherten Zeitpfad. Je gesünder das Gehirn, desto mehr alternative Zeitpfade entwickelt es. Zukunftserinnerungen liefern uns einen unbewussten Leitfaden, welche Informationen gerade relevant sind.

Fazit

Wenn Unternehmen sich einen solchen Leitfaden, ein Zukunftsbild ihres Tuns, erarbeiten, verfügen sie über Präferenzwerte. Und sind in Krisen nicht orientierungslos. Resilienz kommt nicht durch exakte, treffsichere Planung, oder Hin-und-Her-Denken mit Namen »Flexibilität« oder »Ambidextrie«, sondern dadurch, dass – ganz egal, was passiert – die Organisation »ihre« Fährte längst aufgenommen und weiterverfolgen kann. Und wenn sie keine hat, wirft jede Krise sie eben aus der Spur.

Wir nehmen Signale aus der Außenwelt nur wahr, wenn es relevant ist für eine der Zukunftsoptionen, die wir in unseren Vorstellungen bereits ausgearbeitet haben. Je mehr Erinnerungen an die Zukunft wir entwickeln, desto offener und empfänglicher sind wir für frühe, schwache Signale aus der Außenwelt, die unser Zukunftsbild gefährden - weil es kognitiv bereits grob abgelegt ist. So läuft dieser Hase: Nicht Gefahren »kommen sehen«, sondern wittern, wo Unbill dräut in Bezug auf den eigenen Weg. Fehlt der imaginierte Bezug, kann ich nichts wittern; wie beim Hund. Ohne Köder keine Fährte. Als Führende interessieren uns Krisen als solche im Grunde gar nicht, sondern immer nur diejenigen Aspekte davon, die unsere Organisation und ihre Ausrichtung betreffen. Wir kalibrieren sofort zwischen »Krise« und »unsere Firma« – dafür werden Führende bezahlt. So sehen die meisten Führungskräfte das aber nicht, logisch: Denn sie haben kein Zukunftsbild und nehmen als Notnagel stattdessen das, was sich die Gesellschaft erzählt. Und das ist allgemein, breit, unspezifisch und häufig angstbesetzt. – Und unternehmerisch nicht sehr professionell.

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Angst um den Job oder nicht? Kleines Psychogramm deutscher Arbeitnehmer* https://www.denkenaufvorrat.de/blog/angst-um-den-job/ https://www.denkenaufvorrat.de/blog/angst-um-den-job/#comments Mon, 01 Aug 2022 17:42:00 +0000 Jobverlust, Fachkräftemangel, Mitarbeiterbindung https://www.denkenaufvorrat.de/blog/angst-um-den-job/ Weiterlesen

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Irrer Status quo

Eine Mini-Psychoanalyse zum derzeitigen Job-Befinden offenbart eine scheinbar pathologische Haltung der Arbeitnehmenden und ist nicht recht zu erklären. Einerseits fühlen sich die Leute ziemlich sicher, was ihren Arbeitslatz betrifft, und rechnen nicht damit, ihn mittelfristig zu verlieren. 70% der Befragten einer aktuellen Studie machen sich nie, 21% selten Sorgen um einen möglichen Verlust. Der Indexwert ist sogar gestiegen – trotz Corona. Interessant; vielleicht ein Effekt stattlicher Stützungsmaßnahmen (Kurzarbeitergeld usw.)?

Andere Studien sagen anderes. Danach haben 6 von 10 aller 18-34-Jährigen innerlich gekündigt und sind auf dem Absprung: planen, binnen 12 Monaten den Job zu wechseln. Gallup diagnostiziert sogar – ohne Altersbegrenzung – bei jedem vierten Arbeitnehmer Abwanderungsbereitschaft. Wie passt das zusammen?

Bildschirmfoto 2022 08 01 um 14.11.18

Erklärung

Mitten in der Pandemie schwappten über den Atlantik Horrormeldungen über eine Kündigungswelle in den USA herüber: Während Corona haben zahlreiche Arbeitnehmer* realisiert, in welchen Jobs sie eigentlich stecken und das Handtuch geworfen. Eine zeitlang hat man von dem Thema nichts mehr gehört. Nun attestieren Gallup und Personio: Die Wechselbereitschaft ist erstmals höher als in den USA. Drei Hauptgründe werden genannt: Karrierechancen, zu viel Stress und schlechte Führungskräfte.

97% aller Führungskräfte sagen von sich, dass sie einen guten Job machen. Auch das kam bei den Befragungen heraus, passt jedoch nicht zu den Befindlichkeiten der Arbeitnehmenden. An Stress während Corona und abnehmenden Karrieremöglichkeiten, wenn Hierarchien abgeflacht werden, ist so schnell nichts zu ändern – an der Qualität von Führungskräften schon. Wenn sich Menschen in ihrem Team wohlfühlen, wenn sie gesehen werden und das Gefühl haben, nicht egal zu sein, etwas zu bewirken, einen Beitrag zu leisten, der wahrgenommen wird, sehen sie über vieles hinweg.

Offensichtlich stimmen die Dinge auf der Beziehungs- und Bindungsebene nicht. Es scheint so, als ob die Leute weniger wegen Gehalt, Urlaub oder Jobprofil wechseln als vielmehr aus dem Frust heraus, etwas zu tun, das wenig interessiert, von dem sie nicht wissen, was es bringt, und ob das etwas mit ihrer Person oder nur mit einer besetzten Stelle zu tun hat, die –zig andere genauso übernehmen könnten.

Was sagt uns das?

Einmal mehr registrieren wir eine Fülle wissenschaftlicher Studien, die belegen, dass nahezu alle wirtschaftlichen Phänomene heute multifaktoriell und perspektivenabhängig sind. Studien, die in breitem Scan umsichtig und breit genug wären, um exakte Erklärungsangebote zu liefern, gibt es praktisch nicht – logisch, denn sie wären umfänglich und teuer.

Das erschwert kluge Diagnosen. Subjektiven Deutungen stehen wissenschaftlich Tür und Tor offen. Was für Unternehmen bedeutet: Das ernstnehmen, was empirisch validierbar ist. Hier: Achtet auf Karriereperspektiven. Achtet auf Arbeitsdichte und mögliche Überlastung – auch Überforderung und Unsicherheitsfrust wegen fehlender Perspektiven der Firma. Und: Macht Führung verbindlich, konkret und nahbar. Wer nicht wahrgenommen wird, geht. Auch logisch, denn wir haben Arbeitnehmermärkte.

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Welche Entscheidungsfehler mache ich, die ich gar nicht kenne? https://www.denkenaufvorrat.de/blog/entscheidungsfehler/ https://www.denkenaufvorrat.de/blog/entscheidungsfehler/#comments Sun, 22 May 2022 14:53:12 +0000 Bias-Forschung, Entscheidungstheorie, Resilienz https://www.denkenaufvorrat.de/blog/entscheidungsfehler/ Weiterlesen

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Alle wollen anders denken, aber keiner will üben

Bias-Forschung gibt’s seit vielen Jahren, und von kognitiven Verzerrungen und Denkfehlern (»Bias«) sind inzwischen Hunderte bekannt. Es macht keinen Sinn anzufangen, jede Verzerrung kennen und vermeiden zu wollen – das funktioniert nicht, weil diese Fehler für unser Gehirn gar keine Fehler sind, nur für unsere Rationalitätsstandards, den homo oeconomicus.

Was jedoch hilft, ist Neugier auf die aktuelle Forschung. Einige dieser Verzerrungen sind leicht zu merken, und wer immer mal wieder einen Bias im Alltag verfolgt und auszutricksen versucht, bleibt sozusagen dran – wir können unsere Aufmerksamkeit dafür nämlich trainieren. Dazu muss man nicht alle Verzerrungen kennen, Sie können die Gegenwehr habitualisieren; einer von vielen Resilienz-Tricks.

Drei Denkfallen, die gerade aus den Gazetten fallen, in Unternehmen nützlich zu kennen sind, und wie Sie sie habitualisieren:

#Konflikte, #Verständigung, #Kommunikation:

1. Botschaft aus falschem Munde verpufft

Erwiesen ist, dass wir Aussagen grundsätzlich nach Kontext und Sprecher*in bewerten. Nach Inhalt auch, klar, aber besorgniserregend oft nachrangig. Das gilt sogar für triviale Aussagen. Beispiel: „Ohne Leidenschaft hast du keine Energie, ohne Energie hast du nichts.“ Nicht falsch, oder? Stammt von Donald Trump. 

Über Zustimmung und Ablehnung entscheidet die Quelle. Spricht jemand von unserer eigenen Gruppe oder von einer fremden, gar gegnerischen?

  • Überlegen, wen Sie etwas sagen lassen. Sollten Sie selbst sprechen oder besser jemand anderen bitten?
  • Gemeinsamkeiten und Schnittmengen herausstellen, Zugehörigkeit zum Sprecher-Umfeld triggern


#Innovation, #Selbstorganisation, #Thinking out of the box

2. Weniger ist mehr

Am meisten begrenzen uns Denkroutinen, die ganz unten im Fundament von Logik und Kultur verankert sind. Die sind leider auch am schwierigsten herauszufinden. Eine davon: Etwas hinzuzufügen ist besser als etwas abzuziehen. Unsere Kultur triggert das Mehren. In der Grundschule lernen wir zuerst die Addition, dann erst die Subtraktion. Lösungen, bei denen etwas hinzugefügt wird, sind aber nicht „besser“ als solche, die etwas auf seinen Kerngehalt reduzieren, die Schnickschnack wegfiltern. Unser Gehirn scheint das jedoch zu »glauben«.

  • Team-Meetings, Produktgestaltung, E-Mails u.a.m.: Ernennen Sie spielerisch einen „Subtractor in Chief“, der alle immer wieder daran erinnert, auch mal was wegzulassen
  • Erfolgreiche Streichaktionen im Unternehmen hervorheben, loben, öffentlich machen


#Dresscode, #Architektur, #Umgebung

3. Achte auf Konsistenz

Genauso seltsam, wie es ist, dass unser Gehirn lieber etwas hinzufügt als etwas abzieht, ist es auch, dass es unseren psychischen Zustand kalibriert an der Konsistenz des Außen. Kreatives Arbeiten in einer engen Dachkammer (großer kognitiver Radius auf engstem Raum) oder Kostümjacke mit Jogginghose (Homeoffice: oben hui, unten pfui) sind keine guten Ideen. Auch, wenn gar nichts dagegen spricht: Unser Gehirn registriert den Musterbruch, die soziallogische Inkonsistenz unseres Verhaltens. »Zu konzentrierter Arbeit gehört ein Business-Outfit« oder »Im Homeoffice kann ich in jedem Aufzug konzentriert arbeiten« - genauso wie »Kreativ-Arbeit ist Horizonterweiterung« sind Glaubenssätze unseres Gehirns. Dabei geht’s nicht um Inhalt, sondern um Form, um Stimmigkeit.

  • Für Harmonie der Assoziationen sorgen (Räume für Betriebsfeier und Kundengespräche trennen, Dresscode-Regeln klar kommunizieren)
  • Individualisierung bedeutet nicht Bricolage (thematisieren Sie das Phänomen – jede*r darf vieles selbst entscheiden, aber wir alle sollten das gehirngerecht tun)

Führungskräfte, die solches Denk-Tuning spielerisch und humorvoll stets mitlaufen lassen und immer mal wieder thematisieren, schärfen die Wahrnehmung, die Aufmerksamkeit für Entscheidungsroutinen - für die eigenen wie für die der anderen. Das hilft den Leuten wie dem Betrieb.

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Schon krisenrobust? Was ist dran am Resilienz-Hype? https://www.denkenaufvorrat.de/blog/resilienz-hype/ https://www.denkenaufvorrat.de/blog/resilienz-hype/#comments Sun, 15 May 2022 15:49:00 +0000 Resilienz, Führung https://www.denkenaufvorrat.de/blog/resilienz-hype/ Weiterlesen

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Resilienz als Rettung titelt gerade ein Weiterbildungsmagazin – die Ausgabe war nach wenigen Tagen ausverkauft. Logisch, könnte man meinen: In einer Welt, in der eine Krise die nächste jagt, »Permakrise« und »Störfallwirtschaft« die Runde machen, gehört die Frage, wie man all das einigermaßen heil und gesund übersteht, mit zum Wichtigsten der zeitgeistigen Agenda (vgl. unsere zweite These zu den "3 Prognosen zur künftigen Trenddebatte"). Gerade deshalb lohnt ein Blick auf die Erkenntnisse, die die aktuelle Diskussion vermittelt. Was wird verhandelt? Was sind die Schwerpunkte? Und was wird empfohlen? Drei Beobachtungen aus Zukunftsforschungssicht.

1. Resilienz versammelt die alten Blockbuster der unternehmerischen Modernisierung und positioniert sie zeitgeistig um.

»Endlich echte Krisen!«, hört die Leserin aus so manchem Debattenbeitrag heraus. Reden wir nicht seit Jahren über mehr Agilität, Selbstorganisation, fortschreitende Vernetzung, Globalisierung, Digitalisierung und Klimawandel? Bräuchten wir nicht seit Dekaden mehr Vertrauen, stärkere kollektive Firmen-Identitäten, Zusammenhalt, Eigenverantwortung, Lernbereitschaft und Experimentierfreude? Die Permakrise macht's möglich. Und wer sich fragt: Wie?, ist bei Resilienz richtig. Pandemie und Krieg treiben Angst und Unsicherheit, also schauen alle auf die alten Themen und reinszenieren Mantras und altbekannte Buzzwords unter dem Motto der Resilienz: Jetzt erst recht! Mit Klosterfrau Melissengeist formuliert: Nie war sie so wertvoll wie heute.

2. Resilienz ist ein Weichspüler der Management-Debatte und injiziert Psycho-Sprech in die »harte« BWL.

Die traditionelle Manager*-Fraktion ›sourct‹ bekanntermaßen Coaching, Achtsamkeitsmeditation und Pausen-Yoga gerne ins Weiterbildungsprogramm ›out‹: Immerhin muss noch Umsatz generiert werden, auch, wenn qualitatives Wachstum zunehmend ein Thema wird. In unsicheren Zeiten wächst freilich die Bereitschaft, Grenzen aufzuweichen und zumindest zeitweise aus kommunikationspolitischen Gründen softere Töne zuzulassen. Wissen nicht längst alle, dass die psychische Belastung in mehreren gesellschaftlichen Gruppen dramatisch zugenommen hat? Ist die mentale Erschöpfung im Alltag nicht gefühlt bei fast jeder/m greifbar? »Nur die Harten komm’ in’ Garten« kommt da nicht mehr gut an, also wird der Tenor gewechselt. Was in Sachen Resilienz aktuell empfohlen wird:

  • Evolutionär-innovationsorientierte Sichtweise
  • Beständig unbeständig bleiben und Paradoxien aushalten
  • Adaption konstruktiv bewältigen
  • Wandel als Chance begreifen (was wohl die Gestressten dazu sagen?)
  • Sich als soziales Wesen begreifen
  • Sich mehr in der Welt stehend spüren, mit anderen in Beziehung sein
  • sich dem Inneren zuwenden, Selbstfürsorge lernen usw.

Um nicht falsch verstanden zu werden: All das ist sicher nicht falsch - bloß in dieser Form wirtschaftsorganisatorisch praktisch nicht anschlussfähig. In welcher Weise sind diese (gut gemeinten) Reformvorschläge in Sachen Kommunikation, Verhalten und Gefühlsmanagement einflechtbar in Arbeitsorganisation und -weise? Kompakte, messbare und damit organisationalem Lernen überhaupt erst verfügbare Operationalisierungen zu »Paradoxien aushalten« oder »Offenheit einüben«: Fehlanzeige.  

  • Wie stellt ein gewilltes Unternehmen seine Führung so um, dass informelle Kommunikation in etwa den gleichen Stellenwert erhält wie formelle (Meetings, Teambesprechungen usw.)? 
  • Wie würdigt man überhaupt informelle Kommunikation - durch Lob von Kaffeküchen-Talks? 
  • Wie »tuned« ein Konzern sein Organisationserleben in einer Weise, die Resonanz nicht über Feedbackgespräche oder interne Scorings definiert, sondern über Aufmerksamkeit, Wertschätzung und wachsende individuelle Entscheidungsspielräume – und wie beurteilt und begründet es dabei Fort- oder Rückschritte? 

Die heißen Fragen von Resilienz sind die, die gar nicht erst gestellt werden (geschweige denn beantwortet). Und in den abstrakt-heruntergekühlten herrscht geistige Wellness (ein Charakteristikum der Zunft der Zukunftsdeuter seit Jahrzehnten). Wird die konkrete Handlungsdimension aber unterschlagen, bleibt kaum mehr als Management-Esoterik.

3. Resilienz läuft Gefahr, als esoterisches Ablenkungsmanöver in der Permakrise verheizt zu werden.

Das Thema ist grundsätzlich dazu geeignet, das vorherrschende Management-Weltbild in mehreren Hinsichten zu reformieren - unter der Voraussetzung, dass es an die markt- und strukturpolitischen Belange von Wirtschaftsorganisationen anschließt. Gegenwärtig geschieht etwas anderes: Der »Diskurs« positioniert sich mal wieder gegen den Mainstream als Checker-Debatte von jenen, die geistig verstanden haben. Psycho-Flankierungen »guten« Wirtschaftens sind seit jeher populär und finden ihre Zielgruppen – die betagteren unter unseren Lesern* erinnern sich noch an Helden der Szene wie Gerd Gerken, der in den 1990ern die wirtschaftliche Eso-Szene mit „Gesetzen der Labilität“, „die Wirtschaft ist eine Art Tanz“ und „Visionen als Aufgabe für eine echte Elite“ versorgte. Die Resilienz-Debatte hat beste Aussichten, in diese Fußstapfen zu treten. Wer sich digital und stimmungsmäßig erleuchten bzw. beim betrieblichen Socializing im Fahrstuhl punkten will, wird hier bedient.

Fazit

Rückfrage: Sollten wir unsere Firmen nicht derart an Gesundheit, Stabilität und Sinn anbinden, dass alle prosperieren: dass also das Wachstum des Geschäfts das Wohl aller steigert - und das Wohlergehen der Mitarbeiter* wiederum die Umsätze treibt? Das könnte zumindest eine erste Basis für Resilienz sein.

Falls wir das wollen, müssen wir unsere ökonomischen Entscheidungsregeln ändern. Das funktioniert betriebswirtschaftlich aber nicht über Gut-Sprech, abstrakte Philosophien und Positivpsychologie, sondern aller unternehmerischer Erfahrung nach über eine Weiterqualifizierung von KPI’s, veränderte Bewertungskriterien für Führung und Kommunikationsmuster. Einer der Hot Spots: die Umstellung der Ausrichtung der Firmen von Prosperität auf Survival. Unternehmensstrategisch bisher ein No Go: »Wir sind gekommen um zu wachsen, nicht bloß um zu bleiben!«

In einer Störfallwirtschaft sind diese Glaubenssätze aus dem 19. Jahrhundert Irrsinn - was ihre Beliebtheitswerte nicht schmälert. Praktizierte Reslienz bedeutet einen eklatanten Bruch im Wachstumsparadigma. Achtung: Nicht mit dem Wachstumsparadigma, sondern im! Das heißt, wir kalibrieren »wachsen« neu und reichern die Kriterien deutlich an (wenn nicht-resiliente Lieferketten bei jedem nächsten Störfall die Existenz gefährden, sollte das Unternehmen über anderes nachdenken als über Wachstum). Dazu muss man: messen, bewerten, nachsteuern. Kennen und können wir. Dazu hat die aktuell wahrnehmbare Resilienzdebatte bisher kaum etwas beizutragen.

Um einen alten Haudegen der »Revolution« zu zitieren: Die Wahrheit ist konkret. Resilienz ist kein Weltbild, sondern ein Job to be done.

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3 Prognosen zur künftigen Trenddebatte https://www.denkenaufvorrat.de/blog/3-prognosen-zur-kuenftigen-trenddebatte/ https://www.denkenaufvorrat.de/blog/3-prognosen-zur-kuenftigen-trenddebatte/#comments Sat, 30 Apr 2022 16:00:00 +0000 Trendforschung, Prognosefehler https://www.denkenaufvorrat.de/blog/3-prognosen-zur-kuenftigen-trenddebatte/ Weiterlesen

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Oder: Welche Art von Trends werden künftig wichtig?

Prognosen...? In der wissenschaftsnahen Zukunftsforschung sind sie beinahe verpönt. Der Grund: Je volatiler und ungewisser die Welt, desto sinnfreier sind Prognosen. Denn auf Basis von Vergangenheitsdaten ist Zukunft dann nicht mehr »voraussagbar«, logisch. Die Zukunft liegt immer weiter von der Gegenwart entfernt, desto moderner, vernetzter, globaler unsere Welt wird. Deshalb gibt es Szenariotechniken, What-If-Frames und alternative Methoden, um Zukunft anders als prognostisch abzubilden.

Wir trauen uns trotzdem ein paar Vorhersagen zu, was in einer ungewissen Welt, die durch einen Störfall nach dem anderen geprägt ist, en vogue werden wird. Was durch und wegen VUCA im Trend liegt – oder liegen wird. Woher wir die Chuzpe nehmen? Erfahrung, Zeitgeist, beobachtbarer Experten-Habitus.

1. Je mehr VUCA, desto allgemeiner, eher langfristig orientiert und sicherheitsfixierter (am besten qua Statistik) werden die Zukunftsaussagen.

Warum? Die nahe Zukunft ist nahezu opak. Wir wissen nicht, wie die Pandemie im Herbst weitergeht. Wir wissen nicht, wie sich Krieg bzw. Nachkrieg entwickeln. Also wird die Trendforschung all das überspringen (wenn sie nicht in rein fiktionalen Aussagen versacken will: was rein theoretisch alles möglich wäre, aber noch halbwegs wahrscheinlich bleibt). Langfrist (»Mega«-)trends, die mit Zahlen gut hinterlegbar sind (Ökologie, demographischer Wandel, Technologie-Hypes usw.), bestimmen die Szene. Und minutiöse Zergliederungen und Zerlegungen von Trends in Facetten und Miniaturen - der Ingenieur grüßt aus dem 19. Jahrhundert. Verstehen von komplexen Dynamiken, Neuigkeits- und Inspirationsfaktor...?

2. Je volatiler die Märkte, desto größer der Resilienz-Hype. Und umso schmallippiger könnte die Debatte über Musterbrüche, echte Wenden und organisationale Kulturwechsel werden.

Warum? Weil der Faktor der psychologischen Sicherheit immer mehr Raum einnimmt. Wenn eine Gesellschaft unsicherer wird, schlägt sie nicht Wege radikalen Experimentierens ein – das war in der Sozialforschung seit dem zweiten Weltkrieg noch nie beobachtbar, im Gegenteil. Eigentlich wäre Resilienz ein großartiges Thema, die vehemente Suche nach neuen Stabilitätsankern mit Evolution zu verbinden und damit uns selbst das Ganze als Modernisierung erscheinen zu lassen und schmackhaft zu machen.

3. Je größer die gefühlte Unsicherheit, desto mächtiger wird der Dataismus.

Warum? Zunächst: Dataismus ist ein Begriff des Historikers Harari und meint Datenfanatismus, das Wichtignehmen und unbedingte Beharren auf empirischer Belegbarkeit. Zahlen, Daten und Fakten sind die – im westlichen Kulturrahmen – bestmögliche Option, Wahrheit auszuweisen: Das zu beweisen, was wirklich und tatsächlich ist. Alles andere bleibt immer etwas verdächtig – mit zunehmender Schräglage in Richtung Fake News. Bedeutet: Vorschläge und Ideen, die »nicht belegbar« sind, erhalten wenig Aufmerksamkeit. Für Innovativität und neues Denken auch nicht der Knaller.

Fazit

Unter den aktuellen Bedingungen Novität herszustellen (und umzusetzen!), ist harte Arbeit gegen die Norm, die gesellschaftliche Stimmungslage und unsere Gefühlswelt. Das geht – aber nur, wenn ein systematischer, politischer oder ökonomischer Rahmen gesetzt wird, der die Richtung anzeigt (nicht vorgibt!). Oder ein betrieblicher. Unternehmen müssen gegensteuern, wenn sie gedankliche Paralysen unterbinden wollen.

Fehlt ein solcher Rahmen, werden wir einfach nur versuchen, die jetzige Situation irgendwie zu überstehen und da wieder rauszukommen; im besten Fall mit etwas trial-and-error zwischendurch. Was vor dem Hintergrund unserer gesamtgesellschaftlichen Hauptaufgaben ein ziemliches Desaster wäre (immenser Zeitverlust mit Effekten, die wir später kaum mehr aufholen können). 

Führungskräfte bekommen also Sonderaufgaben. Gefragt ist »Team Vordenken«, im Mode-Sprech. Gründen Sie eines.

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3 Fehler, die Sie vermeiden sollten, wenn es um Purpose geht https://www.denkenaufvorrat.de/blog/3-fehler-zu-purpose/ https://www.denkenaufvorrat.de/blog/3-fehler-zu-purpose/#comments Wed, 20 Apr 2022 21:00:00 +0000 Purpose https://www.denkenaufvorrat.de/blog/3-fehler-zu-purpose/ Weiterlesen

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Die aktuelle Krisenserie boostert Sicherheits- und Sinnfragen. Ein alter Hut aus der Soziologie: Wenn’s eng wird, kommen alte Fragen, vor allem aber Antwortbedarf hoch. Hilft derzeit das Aufplustern des Betriebs mit großartigen Unternehmenszwecken, mit einem Sinngehalt, der plötzlich vom Himmel zu fallen scheint? Denn zumeist wird »Purpose« genau so gehandelt.

Mal abgesehen davon, dass sinnorientierte Unternehmensführung weder neu, noch »Purpose« als aufgehübschtes Mission-Statement gemeint ist; und ganz unabhängig von dem, was »Purpose« im ursprünglichen Sinne meint (Firmen mit sozialer Substanz), können Führung und HR zumindest den gröbsten Un-Sinn leicht vermeiden. Diese Dreifaltigkeit besteht aus:

Kirche statt BWL

Was denken Sie: Warten Ihre Mitarbeiter* dringend darauf, dass ihnen ihr Betrieb (oder Chef bzw. Chefin) den Sinn ihrer Arbeit erklärt? Wir kennen nicht viele. Genauer: Keinen einzigen.

Themenqualifizierung bei den Marketern suchen

Kommt ein neues Thema auf, wird gern bei den Fach-Vermarktern nachgehört. »Purpose« ist im Zeitgeist-Diskurs meist genau da aufgehängt: nämlich als Haltungsmarketing. Woran das liegt? Nun, Simon Sinek ist genau da gestartet und hat das frühe Apple-Marketing als Aufhänger für seine Justierung betrieblicher Sinnfragen genutzt (»Start with the why«). Eine Verkaufsmasche also. Aber keine sinnorientierte Unternehmensführung.

Purpose-Helden und Vorbildern glauben

Larry Fink (Blackrock) oder Howard Schultz (Starbucks) sind Purpose-Helden. Beide sind Lieblinge der Management-Revolverpresse, weil sie scheinbar unerhört revolutionär ihre Unternehmen führen. Beide sind mit ihren Purpose-Vorstößen berühmt geworden – aber auch berüchtigt (eine Zwischen-Analyse des Harvard Business Managers etwa ergab, dass sich, Purpose hin oder her, seit dessen Ausrufen bei Blackrocks Geschäftspraktiken nicht viel geändert hat). Der Schritt von Blackrock war eine Reaktion auf den Kampf um Unternehmensgewinne: Die Kunden von Blackrock fangen an nachzufragen, wie gesellschaftliche Werte dazu beitragen können, Anlageergebnisse zu verbessern. Und wenn sich Anfragen dieser Art häufen, werden sie zu einem immer wichtigeren Faktor bei der Gewinnung und Bindung von Kunden im Bereich der Vermögensverwaltung – was Blackrock sehr bewusst ist. »Ausweitung der kapitalistischen Kampfzone«, könnte man auch sagen.

Fazit

Es hilft, im Hinterkopf zu behalten, dass das gesamte Thema (MTP: Massive Transformative Purpose) ein durch und durch amerikanisches ist. ›Denke höher, schneller, weiter, größer!‹. In einer sozialen Marktwirtschaft gibt es jedoch noch andere Orientierungspunkte. Größe um ihrer selbst willen kommt bei uns nicht so gut an – und Sinngerede ohne Substanz auch nicht.

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So funktionieren Szenario-Hacks https://www.denkenaufvorrat.de/blog/szenario-hacks/ https://www.denkenaufvorrat.de/blog/szenario-hacks/#comments Mon, 11 Apr 2022 19:33:00 +0000 Szenario-Hack Bias Szenariotechnik https://www.denkenaufvorrat.de/blog/szenario-hacks/ Weiterlesen

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Disruptive Tools der Zukunftsforschung: #Szenario-Hacks #Scenario-Bias

Worum geht’s?

Der Prozess der Erstellung von Projektionen, insbesondere durch Szenarien, ist gleichzeitig kreativ und strukturiert. Einerseits soll das Szenario fesseln und zu neuen Sichtweisen auf ein Thema anregen. Andererseits soll die Vorhersage auf einer plausiblen Grundlage beruhen. Dieses Gleichgewicht kann schwierig sein, und es gibt Fallstricke, über die man leicht stolpern kann.

Entsprechende »Regeln« waren schon immer ein heißes Eisen in der Zukunftsforschung. Wurden in der untersuchten Prognose zum Beispiel nur die Interessen der wirtschaftlich und politisch dominanten Gruppen berücksichtigt? War die prognostizierte Zukunft im Wesentlichen eine Version der Gegenwart, nur mit raffinierteren Gadgets? Jede*r seriöse Zukunftsforscher*in kennt das: Es kann mitunter ernüchternd sein, mit diesen Leitlinien im Hinterkopf auf einen alten Szenarioprozess zurückzublicken.

Oder: Eine der wichtigsten Regeln, die angehenden Szenario-Expert*innen beigebracht werden, ist die Vermeidung von »normativen Szenarien« oder Projektionen, die auf eine vorgegebene, in der Regel bevorzugte Zukunft hinauslaufen. Die Vorstellung einer Zukunft oder von Zukünften, in denen alles wie gewünscht verläuft, hat selten analytischen Wert. Normalerweise ist es unsere Aufgabe, den Menschen die möglichen Folgen ihrer Entscheidungen aufzuzeigen, und ihnen nicht nur zu präsentieren, was sie gerne hätten, was passieren sollte.

Derlei ist ein Trugschluss, nennen wir ihn »Scenario-Bias«.

Unternehmerische Bedeutung

Manchmal kann es nützlich sein, gegen Regeln zu verstoßen, selbst gegen goldene. Manchmal lässt sich der Kern einer Projektion oder Antezipation nur erreichen, wenn man etwas Unerwartetes tut. Und manchmal gibt’s dafür sogar Vorbilder. Bis heute leuchtend dafür ist Herman Kahn, maximal umstritten. Dieser Herr war in den 1950er Jahren der trotzigen Überzeugung, man müsse in Atomkriegsszenarien auch bedenken, wie ein Atomkrieg zu gewinnen und was nachher zu tun sei. Das wär’ einen Szenarioprozess wert! Was nicht so gut ankam - heute ist dieser Überzeugung einmal mehr gruselig.

Der Hintergrund dieser Idee ist jedoch methodisch cool, disruptiv und - logisch (!). (Wir lieben die radikalen Schulen der Foresight...)

Wie kann man das nutzen?

Zunächst: Welcher Gedanke steckt dahinter? Nehmen wir den Zukunftsforschungs-Mainstream als Kontrastfolie. In Szenario-Prozessen gibt es praktisch kein Referenz-Szenario, das beispielsweise einen WW III ernsthaft bedenkt; zu dystopisch. Derlei wird mit erwähnt, selbstverständlich, es ist ja eine Option - aber die Referenz ist dann das lösungsorientierte, optimistische Zukunftsbild. Praktisch immer.

Die unterschiedlichen Szenarien laufen daher im Wesentlichen auf das immer gleiche Ergebnis hinaus: auf eine Welt, in der wir die allgegenwärtige Gefahr eines Atomkriegs erfolgreich beseitigt haben, oder: in der alle Akteure im Konfliktfall rational einsichtig sind, diesen worst case konsequent zu verhindern bzw. nur als Drohkulisse zu nutzen; oder: in der sich andere Probleme in den Vordergrund drängen (Ökologie) ... Bloß ist dann der Aufwand witzlos. Das Ende scheint alternativlos (ohne, dass man dies offenlegen oder gar so nennen müsste) und recht ermutigend. Gegen eine solche Eindimensionalität im Zukunftsdenken richtet sich aber doch die Szenariotechnik eigentlich!?

Herman Kahn dachte anders. Seine Intuition: Solches »Denken« ist nichts anderes als Ideologie, Wunschdenken oder Weltangst, Motto: ›Was nicht sein darf, das nicht sein kann.‹ Sein Gegenvorschlag: Lasst uns methodisch spitze Post-Atomic-War-Szenarien machen und schauen, was dabei herauskommt. Das Ziel: Jedes heute denkbare Szenario führt hier auf einem anderen Weg zu einem fiktiv vorbestimmten Ergebnis. Es handelt sich dabei nicht einfach um Variationen eines Themas, sondern die unterschiedlichen Wege bedeuten, dass das gleiche Ergebnis - eine Welt, die in einen Atomkrieg schlittert – jedes Mal völlig anders zustande kommt und sich jedes Mal, etwa politisch, auch ganz anders anfühlt. Kernannahme: Viele Wege führen ins Desaster. Und alle müssen wir systematisch verstellen.

Szenario-Hack heißt: Durch diese Technik die eigenen Denkfehler austricksen

Das ist logisch und konsistent. Die meisten Szenariodiskussionen nach Erstellung beginnen mit der Frage »Was haben wir jetzt zu tun?«, wobei die Zukunftsbilder klassisch in unterschiedliche Richtungen gehen - man kann sich das als einen sich ausweitenden Kegel der Möglichkeiten vorstellen (klassische Darstellung: der »Tichter«). Je nach Referenz-Szenario gibt es eben sehr Unterschiedliches zu tun.

Beim Szenario-Hack stellen wir stattdessen die Frage: »Wie kommen wir aus der Vielfalt heutiger Möglichkeiten konkret und ausschließlich zu dem, was wir wollen – oder zu dem, was wir nicht wollen?« Der Kegel ist umgedreht. Die Engführung am Schluss ist eine direkt angepeilte Zukunft. ErkenntnispotenzialWelche sehr verschiedenen Faktoren und welche ihrer Kombinationen würden uns alle zu dem einen gewünschten (oder zu verhindernden) Ergebnis führen?

SZHack

Obwohl alle Szenarien im atomaren Weltuntergang enden, bedeutet dies nicht, dass alle Szenarien besonders schreckliche Zukünfte beleuchten müssen (hallo Scenario-Bias)! Denn auf dem Weg ins Desaster eröffnet jedes dieser Szenarien andere Ausstiegs- und Musterbruch-Optionen. Nützliche Szenarien sollten sich lebendig und plausibel anfühlen, mit ihren eigenen speziellen Kombinationen von Verbesserungen und Problemen. Sie stellen die völlig verschiedenen Wege dar, die sich Menschen einfallen lassen können, um den Weltuntergang zu realisieren (als legitim, alternativlos o. Ä dastehen zu lassen). Und wenn wir die kennen, sind wir deutlich besser gerüstet, jeden dieser Wege unbegehbar zu machen, als vorher.

Fazit

Ja, VUCA ist anstrengend. Szenario-Hacks sind methodische und kognitive Self-Hacks und surfen hart an der Grenze zur Pathologie (›Atomkriegsszenarien - wo gibts denn so was?!‹). Aber auch für unsere Zunft gilt: Cognitive Sciences matter! Die Zukunftsforschung unterliegt ebenso fetten Bias-Strukturen wie alle anderen Wissenschaften auch, bloß müssen wir noch viel neurotischer über sie wachen als die anderen.

Die Regeln (der Szenariobildung) zu brechen, kann eine nützliche Methode sein, um die Komplexität eines Problems zu veranschaulichen, die bei einem konventionellen Ansatz möglicherweise übersehen wird, vielleicht auch gar nicht darstellbar ist. Es erlaubt zu erkennen, dass sich die Bedeutung eines Themas – zum Beispiel eines Tabu-Konzepts – je nach der im Szenario aufgebauten Welt ändert. Das ist kein Freibrief, um die methodischen Richtlinien eines professionellen Szenarioprozesses über Bord zu werfen, aber doch eine Einladung, den (historisch-veränderlichen) Gründen hinter den Regeln mehr Aufmerksamkeit zu schenken: Herr Putin lässt grüßen. Hätten wir mal früher über Korridore ins Desaster nachgedacht!

Ungewissheit bedeutet den Zwang zur Aufstufung methodischer Komplexität. Gut findet das wohl niemand, aber es ist auch kein Hexenwerk. Und Unternehmen auf globalen Märkten brauchen VUCA-adäquate Planungswerkzeuge - glücklicherweise haben wir sie längst.

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Die drei Schweinehunde bei schnellen Forecasts https://www.denkenaufvorrat.de/blog/schweinehunde-bei-forecasts/ https://www.denkenaufvorrat.de/blog/schweinehunde-bei-forecasts/#comments Sun, 03 Apr 2022 13:50:00 +0000 Forecast Trendforschung Bias https://www.denkenaufvorrat.de/blog/schweinehunde-bei-forecasts/ Weiterlesen

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Foresight-Know-how: #Prognosefehler #FalseTrends

Kennen Sie das – Sie brauchen »mal eben« ein paar Branchen-Zahlen für ein Mehr-Monats-Projekt? Oder wollen wissen, wie ein Thema bei den Verbrauchern gerade ankommt?

Empirisch erwiesen ist, dass Dr. Google unangefochten auf Platz 1 steht, was die schnelle Recherche zwischendurch betrifft. Was völlig unschädlich wäre, wenn Entscheider diese Informationen des kalifornischen Such-Algorithmus’ nicht mit Forecast-Infos, die Geschäftsplanung fundieren können, verwechseln würden. Achtung: Dieser Missgriff betrifft keineswegs nur die Selbstsucher, sondern erwiesenermaßen genauso die »Profis«, etwa Fachabteilungen für Planung. 

Diesen drei inneren Schweinehunden sollten Sie daher niemals gestatten auszubrechen.

1. Umfragen ernstnehmen (= es gibt welche und Sie freuen sich)

Ergebnis: Sie werden mehrere zu Ihrem Thema finden und alle haben eine etwas andere Grundaussage. Was tun wir Menschen dann? Folgen entweder unserem Autoritäts-, Bestätigungs- oder Verfügbarkeitsfehler – oder einem der anderen hundert Bias-Strukturen, die unser Gehirn uns vorschlägt.

Merke: Forecast heißt, immer zu wissen, zu jeder Zeit justiert zu haben, welche Blickachse für Sie zählt. Wer sich die Blickachse von Marktforschungsinstituten diktieren lässt, hat auf VUCA-Märkten verloren.

2. Reports, Experten- und Prognose-Berichte scannen (= Sie finden welche, sogar seriöse, und nehmen sie als Planungsbasis)

Ergebnis: Sie werden Label ohne Substanz finden (die aber Ihre Projektionen antriggern, d.h. Sie werden glauben zu verstehen), viele Details insbesondere zu Technologietrends (zu Hypes gibt’s die meisten Studien) oder drei nicht-repräsentative Cases (die sehr interessant sind, bloß häufig Sonderbedingungen unterliegen). Und vieles andere.

Merke: »Trend« ist in der Öffentlichkeit keine definierte Kategorie. Dass das so bleibt ist vitales Interesse von deren »Händlern«. Jeder versteht etwas anderes darunter (und handelt entsprechend). Liegt Raketentourismus im Trend? Irgendwie schon. Liegt E-Mobilität im Trend? Irgendwie schon. Liegt Ökologie im Trend? ... In dieser Art, die Welt zu sehen, ist fast alles trendaffin, bloß für ein konkretes Unternehmen in einer konkreten Branchennische häufig schlicht Unsinn.

3. Statistiken, Infografiken (= Sie interpretieren Zahlenreihen, indem Sie sie mit Motiven unterfüttern - weil es »doch so offensichtlich« ist)

Ergebnis: Von quantitativen Entwicklungen auf qualitative Merkmale zu schließen (steigende E-Mobility heißt steigende Akzeptanz dieser Technologie...?) ist keine gute Idee.

Merke: Quantitative Zahlenreihen ändern nicht unbedingt Erwartungen, Motive, Einstellungen, Werte. Oder auch: Sie zeigen Veränderungen, deren Qualität man den Zahlen selbst nicht entnehmen kann.

Schweinehund

Spontane Self-Hacks unseres Gehirns gab es zwar schon immer, nur schlagen sie in einer ungewiss-dynamischen Welt immer schärfer durch. VUCA-gemäße Planungsmethoden führen erst gar nicht dorthin – sie fußen auf neuer Psychologie; auf Kognitionswissenschaften und Verhaltensforschung (und preisen beispielsweise Bias-Strukturen gleich mit ein). Planen heißt heute immer mehr: den eigenen Denkapparat im Griff behalten. Dr. Google funktioniert natürlich auch, steht aber nicht in Verantwortung für die Folgen. Dort stehen nur Sie.


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5 Gesetze der Zukunftsforschung #5 https://www.denkenaufvorrat.de/blog/gesetze-der-zukunftsforschung-5/ https://www.denkenaufvorrat.de/blog/gesetze-der-zukunftsforschung-5/#comments Mon, 21 Mar 2022 11:57:15 +0000 Gesetze der Zukunftsforschung https://www.denkenaufvorrat.de/blog/gesetze-der-zukunftsforschung-5/ Weiterlesen

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Hat die Zukunftsforschung »Gesetze« oder Prinzipien, nach denen sie arbeitet? Und können die auch andere, etwa Führungskräfte oder allgemein die Unternehmen nutzen? Wir gehen das in loser Folge mal durch, und: Ja, so etwas gibt es! Alles ca. 100 Jahre alt, gut abgehangen also - und im europäischen Wirtschaftsalltag nahezu irrelevant (im Gegensatz zum pazifischen Wirtschaftsraum).


5 Keine Angst vor Zirkeln!

Worum geht's?

Beim Planen empfiehlt es sich, sich die Katze nicht selbst in den Schwanz beißen zu lassen. Erfahrene Controller werden bei Kreislauf- und Schleifenstrukturen misstrauisch. Tatsächlich wird uns häufig eingeredet, dass »Automatismen« oder sich selbst aufschaukelnde Prozesse eine gute Idee seien: ›Realisierst du Innovation X, kaufen die Leute mehr von deinen Produkten, du machst mehr Gewinn und kannst noch mehr tolle Innovationen entwickeln...‹ Die Wirtschaftstheorie ist voll davon.

Dass das nicht immer funktioniert, haben die meisten gemerkt. Die Wirtschaft ist viel zu komplex geworden für solche eindimensionalen Perpetuum mobile-Geschichten. Eine mögliche Konsequenz zum Gegensteuern lautet »Dataismus«, der aktuelle Trend-Reflex. »Miss genau, und du siehst frühzeitig, was funktioniert und was nicht!« (»Früh scheitern« und ähnliche Weisheiten zahlen darauf ein). Die Intuition: Durch Daten falschen Zirkeln schnell auf die Spur kommen.

Unternehmerische Bedeutung

Also digitalisieren wir und freunden uns ganz langsam mit Madame KI an, die uns vor Zirkeln schützen soll. Klingt vernünftig und alles lässt sich so auch noch faktisch belegen, das Management freut sich. Wissenschaftliche Zukunftsforschung macht indes etwas ganz anderes: Sie stuft die unterkomplex-falsche Zirkelstruktur der bisherigen »Sog«-Ideologien komplexitätsadäquat auf – und dann wird plötzlich ein Schuh aus Zirkeln.

Wie geht das? Nun, hört sich kompliziert an, ist aber ganz einfach. Bloß einmal mehr extrem kontra-intuitiv. Es könnte nämlich sein, dass Durchbruchsinnovationen, also echte, radikale Neuerungen (nicht nur in der Wirtschaft), sicher nicht immer, aber oft das Ergebnis selbstreferenzieller Schleifen sind. In der Evolution läuft die wissenschaftliche Forschung seit Längerem genau darauf hinaus. Zukunftsforschung überträgt diese Erkenntnis aus den Biowisssenschaften auf alle möglichen Sektoren (zum Beispiel auf die Ökonomie) und prüft, was sich damit anstellen lässt.

Anschaulich ist das Beispiel der Idee vom »Social Business«: Dich stören Verwerfungen wie Hunger oder Obdachlosigkeit, die der Kapitalismus verursacht? Gründe ein Unternehmen, um Nahrungs- und Logistikketten zu verändern oder Menschen eine Wohnung zu beschaffen. Das funktioniert auch ganz »kapitalistisch«, also gewinnorientiert (und ist deshalb nicht unmoralischer als ein Non-Profit-Unternehmen, aber dieser Gassenhauer, häufig zu vernehmen, ist ein anderes Thema). Ein weltbekanntes Beispiel haben wir andernorts beschrieben (Muhammad Yunus, Grameen Bank). Warum sind das Zirkel? Weil wir hier das Grundprinzip des Kapitalismus dazu nutzen, um Verwerfungen kapitalistischer Systeme zu kurieren. (Der Homo academicus lästert aus der Ecke: »Da kann jemand offenbar nicht geradeaus denken...«)

Wie kann man das nutzen?

Erst einmal realisieren: Zirkel sind mitunter hoch interessant! Sie boostern uns »hoch«, spiralförmig auf ein anderes Niveau. Zirkel mögen sachlogisch »falsch« sein (Ende = Anfang), zeitlogisch sind sie das aber selbstverständlich nie: weil zwischen Anfang und Ende Zeit vergeht und daher das Ende der gleiche Anfang gar nicht sein kann.

Interessant ist das für alle, die höhere Innovationsansprüche haben als der Durchschnitt. Die alte Mär, radikale Innovationen seine Ideenfrüchte kreativer Genies, erodiert ohnehin, aber mit selbstreferenziellen Gedankenspielen wird sie regelrecht ausgehebelt: Man kann »Anders-Ideen« in systematischen Kommunikationsprozessen, die Zirkel-Methoden nutzen, regelrecht »herstellen«.

Quelle: www.oxman.com

Solche Methoden werden im pazifischen Wirtschaftsraum intensiv genutzt, bloß sind sie hierzulande: absurd, esoterisch, unlogisch. Das ist nicht die einzige, aber eine gravierende Hürde für radikale europäische Durchbruchsinnovationen. So etwas entspricht nicht dem europäischen Welt- (und Wirtschaftsleit-) bild. Beispiel Materialökologie: Du wendest die evolutionären Bedingungen, die Seidenraupen brauchen, um zu spinnen, einfach im kapitalistischen Produktionsgefüge an, und dann spinnen wachsende Seidenraupenpopulationen (fast) fertige Pullover (genauer: sie spinnen eine vorkonstruierte Form aus, s. Abb.). Je größer die Population, desto mehr Pullover. Keine einzige Raupe wird mehr abgekocht (wie üblich), sondern das Wohlergehen der Population verursacht qualitatives ökonomisches Wachstum.

Magie? Nein. Aber Zeit für völlig neuartige Innovationsmethoden. Das meiste davon liegt inzwischen operativ gut aufbereitet vor. (Details hier.)


Das war's für's Erste mit den Gesetzen der Zukunftsforschung. Es gibt noch mehr, wir setzen das später einmal fort. - Zunächst allseits gute Sicht nach vorn!

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5 Gesetze der Zukunftsforschung #4 https://www.denkenaufvorrat.de/blog/gesetze-der-zukunftsforschung-4/ https://www.denkenaufvorrat.de/blog/gesetze-der-zukunftsforschung-4/#comments Thu, 10 Mar 2022 16:55:44 +0000 Gesetze der Zukunftsforschung https://www.denkenaufvorrat.de/blog/gesetze-der-zukunftsforschung-4/ Weiterlesen

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Hat die Zukunftsforschung »Gesetze« oder Prinzipien, nach denen sie arbeitet? Und können die auch andere, etwa Führungskräfte oder allgemein die Unternehmen nutzen? Wir gehen das in loser Folge mal durch, und: Ja, so etwas gibt es! Alles ca. 100 Jahre alt, gut abgehangen also - und im europäischen Wirtschaftsalltag nahezu irrelevant (im Gegensatz zum pazifischen Wirtschaftsraum).


4 Komplexität = Sache + Zeit

Worum geht's?

»VUCA« ist seit Jahren in aller Munde; einer der Hypes der Wirtschaftsdebatte, aber auch ein kryptisches Label. Die Welt sei volatil geworden, heißt es; ungewiss, c/komplex und mehrdeutig, ambiguös. Über diese praktische Zusammenfassung des aktuellen Kernproblems hinaus sagt VUCA aber nichts. Spannender wäre eigentlich etwas Anderes, nämlich eine (oder mehrere) Antwort(en) auf die Frage, wie wir diese Welt denn nun praktisch bewältigen können. Dazu kommt im Trend-Diskurs – wenig, um es vorsichtig zu formulieren.

Unternehmerische Bedeutung

Wissenschaftliche Zukunftsforschung wurde einst erfunden, um sich mit Musterbrüchen zu beschäftigen, mit Welten jenseits von Norm und Bekanntem, das ist ihre Existenzberechtigung. Was also hat sie anzubieten in Sachen VUCA? Nun, sie ergänzt – das ist alles. Sie nimmt zum Wissensbestand, wie wir ihn kennen, ein paar Dinge hinzu. Kleines Problem: Die sind meist extrem kontra-intuitiv.

Das »Gesetz« in diesem Beitrag ist ein Beispiel dafür. Normalerweise schauen wir uns ein befremdliches Phänomen, eine neue Sache genauer an, analysieren sie und versuchen zu verstehen, was da läuft. Dann haben wir das irgendwann begriffen (»aha, Naturgesetz X!«, »aha, China agiert so und so!«, »aha, die Inflation steigt, wenn a und b sich so und so verändern!« und so weiter). Wir durchdringen die Sache, erkennen, was wahr ist und legen das Ganze ab. Kapiert, danke.

In komplexen Umfeldern funktioniert das nicht mehr. Denn: Welche Sache – unter den unüberschaubar vielen, zusammenhängenden – sollte ich mir genauer ansehen? »Alle« geht nicht. Filterprinzipien sind unbekannt, Prioritäten ebenso. Nächstes Problem: Die Faktoren hängen alle miteinander zusammen bzw. voneinander ab. Soll heißen, dass die »Definition« der Sache mit Kontext und Bedingungen korreliert. Die Definition fängt also situativ an zu schwanken. Und: Sie verändert sich laufend.

Hier kommt die Zukunftsforschung ins Spiel; besser gesagt: Zeit. Denn diese Disziplin arbeitet zeitlogisch, nicht sachlogisch. Sie analysiert nicht, was ist (»die Sache funktioniert so und so«, quasi ewig, zeitlos), sondern wie etwas wird, wohin es sich entwickelt, auch, woher etwas kommt, oder wer sich was davon erhofft (das bestimmt nämlich häufig Geschwindigkeit oder Dynamik).

Wie kann man das nutzen?

Unsere Maxime hier ist einschlägig für zukunftsforscherisches Planen. Ein simplifiziertes Modell davon in der Illustration.

Zeitmatrix

Zeitmat

Um’s kurz zu halten: Das, was Sie in den Medien, im öffentlichen Diskurs und zumeist sogar aus den Wirtschaftswissenschaften in Sachen Zukunftsaussagen hören, sind Projektionen für Feld 6. Weiter kommen wir fast nie. Wir schauen uns das Morgen durch die Brille des Heute an und nehmen deshalb in der Zukunft logischerweise nur das wahr, was wir bereits kennen. Für Planung in einer ungewissen Welt: Nicht gut.

Wir feiern unseren Confirmation-Bias (Bestätigungsfehler, eine kognitive Verzerrung: »Man sieht nur, was man kennt«) und leiten schamlos aus dem, was wir wissen und kennen, ab, was kommt. Mit ein bisschen Abweichung natürlich – es gibt die stoische Optimismusfraktion, viele Dystopiker und die »Maß-und-Mitte«-Fans. Best Case, Worst Case, Middle Way. Letzterer vertreten dann häufig durch die Wissenschaft, die freilich auch nichts anderes praktiziert als die anderen: Sie schließt vom Heute auf’s Morgen.

Das ist auch gar nicht »schlimm«, solange Zukünfte unseren Gegenwarten ähnlich bleiben. Wenn das Morgen ungefähr so ist, wie das Heute (oder wie das Gestern war), ist die fortwährende Selbstbestätigung unserer aktuellen Sichtweise nicht weiter interessant oder gefährlich. Und: Genau das haben Menschen über Hunderttausende von Jahren erfolgreich praktiziert. Funktionierte bislang doch! Und dann sind auch Prognosen kein Problem. 

Und hier nun kommt VUCA ins Spiel. Wenn die Welt transformativ wird, werden Zukünfte anders sein als unsere Gegenwarten. Zwischen Gegenwart und Zukunft überwiegen dann die Unterschiede, nicht mehr die Gemeinsamkeiten. Und wenn wir dann solide Zukunftsaussagen treffen wollen, brauchen wir das Niveau von Feld 8.

Nicht schwierig, oder? 

Doch. Das ist schwierig, es hebelt nämlich unsere Denkroutinen aus. Was können Unternehmen also tun?

  • Prüfen, ob man mit diversen Trend-Vorschauen, Branchen- und Jahres-Prognosen bewusstlos lediglich auf Feld 6 herumstümpert - oder es schafft, tatsächlich neue, ungewohnte und befremdliche Blickwinkel einzunehmen, also zeitlogisch die Zukunft überhaupt zu erreichen (9). Merke: Was Manager besonders gut können, ist, andere Sichtweisen als ihre eigenen mit hinreichend Zahlen, Daten und Fakten – Sachlogik – umgehend außer Kraft zu setzen. Dafür wurden sie ausgebildet. Controlling funktioniert so. Das zerstört Zeitlogik und du bleibst notorisch im Heute hängen. Was zur nächsten Frage führt.
  • Kultur-Check: Willst du recht haben oder zukunftsrobust entscheiden? Das sind zwei grundverschiedene Ziele. »Beweisen« geht nur mittels Faktizität. Resilienz geht aber nur durch kontrolliertes Werden. Controlling beschäftigt sich dann mit Dynamiken, Entwicklungslogiken und »Trajektorien«, wie die Zukunftsforschung das nennt. (Praxisbeispiel zum Testen und Nachmachen hier.) Mit Abweichungen vom Heute, konzentriert und kontinuierlich. Das ist in der Praxis ein harter Musterbruch: Controlling kontrolliert bisher ausschließlich die vielen kleinen Zwischenschritte im Werden (»Meilensteine«). Werden selbst kann es bisher nicht kontrollieren (dafür bräuchte es erst Metriken für Relevanz; vgl. den Beitrag hier).
  • Entscheiden, wie wichtig der Firma Komplexität (die VUCA-Frage) überhaupt ist. Viele Führungskräfte finden das Thema »spannend« und genießen staunend neue Bildungserlebnisse. Dann ist die Firma eben noch nicht so weit - und dann lieber so weitermachen wie bisher. Auch eine erste Aufmerksamkeit auf das Problem, das hier unbewusst vorliegt, ist ein Schritt nach vorn.

Stets gute Sicht nach vorn!

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Zukunftsforschung Ukraine - Szenarien https://www.denkenaufvorrat.de/blog/ukraine-szenarien/ https://www.denkenaufvorrat.de/blog/ukraine-szenarien/#comments Fri, 04 Mar 2022 14:28:48 +0000 Trajektorien, Szenarien https://www.denkenaufvorrat.de/blog/ukraine-szenarien/ Weiterlesen

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Die internationale Zukunftsforschungs-Community flankiert den Krieg bereits ausführlich. Sohail Inayatullah beispielsweise (UNESCO Chair in Futures Studies) hat zusammen mit einer Kollegin folgende vier Kurz-Szenarien entwickelt zum Ausgang des Ukraine-Krieges (gepostet auf LinkedIn); Entwicklungslogiken (»Trajektorien« auf schlau), was sich abzeichnen könnte. Der externe Blick auf unser europäisches Geschehen ist dabei – wie immer – erhellend und auch bestürzend. 

1. WW3. China lernt aus diesem Ereignis und marschiert in Taiwan ein. Diesmal sind der Westen - andere - bereit und ein umfassender Krieg bricht aus. Putin geht pleite und versucht, Osteuropa zurückzuerobern, Polen, aber auch andere umkämpfte Gebiete. Afrika hält sich im Allgemeinen aus dem Krieg heraus, aber die meisten Regionen sind daran beteiligt. Auch andere Nationen sehen Chancen und ergreifen, was sie können. Die Metapher hier: Alles wird heiß.

2. Der neue Marshallplan. Das Versäumnis des Westens, Russland und andere in einen Sicherheitsschirm einzubeziehen, ist ein ursächlicher Faktor in der aktuellen Krise. Diesmal wird Russland jedoch aus der Kälte geholt. Die Hierarchie der Kultur (Westeuropa oben: Östlich unten) wird in eine Partnerschaft umgewandelt. Wie Deutschland nach dem 2. Weltkrieg baut Russland wieder auf und integriert sich in Europa. Während der Westen inklusiver wird, sieht China die Vorteile und verzeiht vergangene Übertretungen (zum Beispiel den Opiumkrieg). Die Metapher: Russland kommt aus der Kälte.

3. Langfristkonflikt in der Ukraine. Russland entmilitarisiert die Ukraine und remilitarisiert auf der Grundlage seiner Sicherheitsbedürfnisse. Die Ukraine ist teilweise oder vollständig besetzt. Die Proteste in der Ukraine und in Russland dauern an, aber mit wenig Wirkung. Sanktionen schaden immer mehr, aber nicht genug, um zu politischen Veränderungen zu führen. Der Reichtum der Ukraine, aber auch die hohen Ölpreise ermöglichen es Putin, selbst den wahrscheinlichen Bürgerkrieg in der Ukraine zu überstehen. Die Ächtung fordert jedoch einen Tribut von Putin, da er und seine „königlichen Hofgenossen“ weltweit gemieden werden. China und andere bevorzugen strategische Ambiguität. Die Metapher: Langer und langsamer Verfall.

4. Konflikttransformation. Dieser Konflikt wird zu einer Gelegenheit, das Weltsystem zu überdenken und das Patriarchat, den Imperialismus und das Schlimmste des Kapitalismus zu reduzieren. Eine UNO mit Zähnen (und eine WHO mit Zähnen) sind Beispiele, wo Global Governance gefragt ist. Friedenstruppen werden nach dem Vorbild eines Earthpol (Überwachung des neuen Green Deal) geschaffen. Sie sind in der Lage, Konflikten überall zu trotzen, z. B. in der Ukraine, in den USA, in China und in Australien. Dies ist eine weitaus demokratischere UNO, in der die nach dem 2. Weltkrieg geschaffenen Regeln angesichts der neuen Realitäten geändert werden. Ein gaianisches Gemeinwesen entsteht. Wir „impfen“ gegen Krieg. Die Metapher: „Gaia“ (die neue ökologische Weltordnung) braucht Gesetze.

Stand heute (4.3.22): Wie ist das zu bewerten?

Jenseits des heißen Kriegskerns wird das Geschehen deutlich nüchterner betrachtet als bei uns. 

  • #1 ist eine reale Gefahr (kein Risiko!), falls Putin mit seinem Vorhaben durchkommt.
  • #2 ist sehr interessant. Gefühlt liegt dieses Szenario für Europäer derzeit im emotionalen Nirwana – unvorstellbar. Die Pointe verbirgt sich jedoch im ersten Satz. Woanders wird klar gesehen, dass der Westen einen erheblichen Anteil an der Eskalationsspirale trägt. Wenn diktatorische Machthaber wie Luft behandelt werden und am langen Arm ›verhungern‹ (Sicherheitsinteressen über viele Jahre ignoriert), reagieren sie, und zwar nicht freiheitlich-demokratisch. In einer VUCA-Welt mit extremer systemischer Vernetzungsdichte ist solches Nichthandeln unverantwortlich, die Folgen unabsehbar. – Andere Seite, die europäische Sicht: Unverantwortlich ist, einen nicht geführten Dialog mit Krieg und Atomwaffenandrohungen zu beantworten. – Hier haben wir ein Sandkastenspielchen von Machteliten aus dem Lehrbuch. Beide Seiten tragen ihren Teil zum Konflikt bei, aber jeder sieht nur seinen Teil. Das »Argument« Europas, hier würde jede Verhältnismäßigkeit (Rechtsbruch!, Gewalt!, viele Tote!) außer Kraft gesetzt, Putins Forderungen seien absurd usw., ist schwierig. Die anderen sehen genau, dass eine globale Friedenspolitik auf Basis des westlichen Habitus’ genauso wenig funktioniert wie im Weltbild von Putin. Sagen und schreiben tun das aber nur Nicht-Europäer.
  • #3 Aktuell bewertet: Gefühlt das realistischste.
  • #4 Aktuell bewertet: Wolkenkuckucksheim. Allerdings immer noch wahrscheinlicher als #2, da hier die globale Weltgemeinschaft an einem Strang zieht. Das funktioniert derzeit ja verblüffend gut (mit Luft nach oben).

Denksportaufgabe

Was würde ein sich in der Tradition von Aufklärung und Friedenssicherung verstehendes Europa anstreben? Natürlich #2. Die Kluft, die zwischen unser aller Emotionen (zumindest denjenigen sehr vieler solidarischer Menschen in Europa) und dieser möglichen Zielstellung liegt - auch und gerade wegen der anderen mittel- und osteuropäischen Staaten, die berechtigt Angst haben -, reflektiert den Stand unserer Zivilisation. Und zwar nicht im Sinne von: »Schaffen wir das?«, Realismus, Wahrscheinlichkeit und Erfolgsaussichten. Sondern zuallererst im Sinne von: »Trauen wir uns diese Option mental, wirtschaftlich und politisch zu? Wollen wir versuchen, das zu stemmen?«. Denn Schritt 1 kommt vor Schritt 2.

Es ist die Leistung wissenschaftsnaher Zukunftsforschung, solche Gedankenspiele auszuformulieren und in eine für sie gefühls- und lebensfremde Welt zu werfen. Was die Welt damit macht, entscheidet sie dann selbst – sage nur keiner, die Möglichkeit existiere nicht. Sie existiert genau dann, wenn, wie bei der Mondlandung Präsident Kennedy das ausformuliert hat, eine Gesellschaft sich solche »Moonshots« zutraut ("wir tun das nicht weil es einfach ist").

Wir können derlei inzwischen. Auch Europa. Unsere Moonshots blieben allerdings terrestrisch - und darin zutiefst überzeugt. Aber keinen Deut weniger anspruchsvoll.

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5 Gesetze der Zukunftsforschung #3 https://www.denkenaufvorrat.de/blog/gesetze-der-zukunftsforschung-3/ https://www.denkenaufvorrat.de/blog/gesetze-der-zukunftsforschung-3/#comments Mon, 28 Feb 2022 12:44:34 +0000 Gesetze der Zukunftsforschung https://www.denkenaufvorrat.de/blog/gesetze-der-zukunftsforschung-3/ Weiterlesen

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Hat die Zukunftsforschung »Gesetze« oder Prinzipien, nach denen sie arbeitet? Und können die auch andere, etwa Führungskräfte oder allgemein die Unternehmen nutzen? Wir gehen das in loser Folge mal durch, und: Ja, so etwas gibt es! Alles ca. 100 Jahre alt, gut abgehangen also - und im europäischen Wirtschaftsraum nahezu irrelevant (im Gegensatz zum pazifischen).


2 Proaktion statt Reaktion

Worum geht's?

Bei Langfrist- oder Strategieplanungen gibt die Wirtschaftslehre klassischerweise Benchmarking vor, Wettbewerbsanalysen, Branchenvergleiche, auch mal Trend-Reports oder Marktforschung. Alles etablierte und nützliche Hilfen, die ersonnen wurden für stabile und konstante Märkte. In regelmäßigen Abständen ändern sich Kunden und Technologien (dafür gibt's Marktforschung), aber die kontinuierliche Marktentwicklung lässt sich im Großen und Ganzen über die Jahre monitoren und verfolgen, es gibt deshalb regelmäßige Updates, Mega-Trends und Statistik.

Unter VUCA-Bedingungen geht es darum nicht mehr.

Unternehmerische Bedeutung

Eine unkomfortable Konsequenz aus dem VUCA-Thema ist, dass zwar Wissen über veränderte Marktbedingungen vorhanden ist, den Unternehmen dies bei vielen Wandelformaten aber nichts nützt. Wie effektiv ist es, einen riskanten neuen Wettbewerber mit »einzuplanen«, der wenige Monate später vom Monopolisten gekauft wird? Was hilft eine vorausschauende Innovationspipeline, wenn eine disruptive Technologie innerhalb von 24 Monaten eine Branche erledigt? Wo liegt der Nutzen von Kundenbefragungen, wenn sich Kaufverhalten in einigen Wirtschaftsbereichen nicht aufgrund des Angebots verändert, sondern aus anderen, etwa sozialen, politischen oder Werte-Gründen (die nicht immer artikulierbar, bewusst und erhebbar sind, teilweise sich aber auch kurzfristig ändern)? Oder wenn Kunden aufgrund der Komplexität der Materie gar nicht wissen können, was möglich ist - und daher: was sie eigentlich wollen könnten?

Dies ist kein Votum gegen die vorhandenen Instrumente, aber ein Plädoyer dafür zu prüfen, wie tragfähig diese Instrumente für die eigene Firma eigentlich noch sind. Und ob Ergänzungen interessant werden.

Wie kann man das nutzen?

Von Störfällen wie Finanzblasen, Wetterkatastrophen oder einer Pandemie (oder gar Kriegstreiberei) wollen wir erst gar nicht anfangen: Hier ist Reaktion keine Option. Alle Experten sind sich einig, dass sie zu-, nicht abnehmen. Was also sollten Unternehmen proaktiv im Visier haben?

Proaktives Planen bedeutet in der Zukunftsforschung, für einen steten Fluss an Innovation und ein stabiles Fundament für Resilienz zu sorgen: Für Neues Systematiken zu entwickeln und den Betrieb dadurch insgesamt abzusichern - auch unter disruptiven Bedingungen. Dafür braucht es eigene Reflexionszonen, ein vordenkendes (!) Controlling. Also etwa 

  • regelmäßig (»regelmäßig« heißt nicht »oft«!) Störfall-Analysen vorzunehmen. Die wissenschaftliche Zukunftsforschung kennt die ökonomischen Hauptrisiken der Dekade inzwischen ziemlich genau – was wir nicht wissen ist allein der konkrete Zeitpunkt, an dem damit zu rechnen ist. (Beispiel: Kommt das als sicher geltende Erdbeben in Kalifornien noch in den zwanziger oder erst in den dreißiger Jahren? Viel später kommt es wohl nicht. Mit dieser Information lässt sich proaktiv planen – auf solidem Grund.)
  • Rituale für Antezipationen auszubilden. In VUCA-Märkten vorzudenken schließt ein Nachlesen relevanter Trends aus - Achtung Logik! ›Was-wäre-wenn‹- oder ›unterstellt-dass‹-Spiele werden in VUCA-Märkten Normalität werden müssen, ohne dass dies lässlicher Firlefanz wäre. (Beispiel: In einer ökologischen Krise ist eine Flutkatastrophe – in gewässernahen Zonen – nicht unerwartbar. Jeder kann sie vorwegnehmen: ante capio. Das gilt genauso für die Konsequenzen des 3-D-Drucks oder der Virtual Reality. In der Zukunftsforschung etwa wird das, was Facebook »Metaverse« taufte und gerade als Hype durch die Öffentlichkeit läuft, seit über 10 Jahren diskutiert, etwa im Kontext von Magic Leap - u.a.).
  • In europäischer Perspektive bedeutet proaktives Planen überdies, die nicht selten kindisch anmutenden Maximen der Kalifornier (»früh scheitern« usw.) in Logik und unternehmerische Vernunft zu übersetzen. Das ewige sich-selbst-Kannibalisieren ist eine vorausschauende, umsichtige und kluge Haltung gegenüber der immer wahrscheinlicheren Option eines disruptiven Überholt-Werdens aus einem nicht einsehbaren Irgendwoher. Wenn sich solche Wahrscheinlichkeiten ändern, müssen das auch die Planungsroutinen. Hierzulande wird meist nicht verstanden, dass ein beständiges sich-selbst-unter-Innovationsdruck-Setzen eine Planungstechnik ist: eine entscheidende Grundlage für organisationale Resilienz. (Man könnte auch sagen: Das Immunsystem der Organisation wird andauernd künstlich herausgefordert und damit auf Trab gehalten.)

Unseren Firmen fällt all das – auch aufgrund der prinzipienhaft-universalistischen BWL-Grundsätze – extrem schwer. Hierzulande gilt das Verwerfen von Doktrinen aus dem betriebswirtschaftlichen Lehrbuch als unprofessionell. Merke: Professionell ist nicht, wer der Theorie folgt, sondern, wer überlebt. Proaktives Planen hilft dabei, aber es ist kontra-intuitiv. Ein Controller, der etwas auf sich hält, schaut in Daten (»Gegebenes«), nicht auf Optionen. Bei uns blamiert man sich damit.

Betrachten Sie's aber mal positiv: Die wenigen, die kapieren, was hier passiert, sind vorne mit dabei.

Stets gute Sicht dorthin!

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5 Gesetze der Zukunftsforschung #2 https://www.denkenaufvorrat.de/blog/gesetze-der-zukunftsforschung-2/ https://www.denkenaufvorrat.de/blog/gesetze-der-zukunftsforschung-2/#comments Wed, 16 Feb 2022 19:10:51 +0000 Gesetze der Zukunftsforschung https://www.denkenaufvorrat.de/blog/gesetze-der-zukunftsforschung-2/ Weiterlesen

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Hat die Zukunftsforschung »Gesetze« oder Prinzipien, nach denen sie arbeitet? Und können die auch andere, etwa Führungskräfte oder allgemein die Unternehmen nutzen? Wir gehen das in loser Folge mal durch, und: Ja, so etwas gibt es! Alles ca. 100 Jahre alt, gut abgehangen also - und im europäischen Wirtschaftsalltag nahezu irrelevant (im Gegensatz zum pazifischen Wirtschaftsraum).


2 Wer weiter voraussieht, hat seltener das Nachsehen

Worum geht's?

Um Zeit. Kein ganz neues Thema fürs Controlling – der Fightclub von Quartalsdenke-Fans gegen Langfrist- und Nachhaltigkeitsplaner wurde bereits vor Jahrzehnten gegründet. Viele Jahre konnte man diesen Streit übersetzen in »Konzernlenker« (und AG’s) versus »Mittelständler« - aber so einfach ist es nicht mehr.

Unternehmerische Bedeutung

Die etablierte Planung in den meisten Unternehmen, unabhängig von Größe und Kultur, setzt auf überschaubare Zeiträume. Kaum ein Planer will in Wolkenkuckucksheimen landen, also kalibrieren wir möglichst weit runter – es müssen ja nicht gleich 3-Monats-Häppchen sein. Allein schon die Zielvereinbarungsrituale zwingen die Firmen auf Einjahresplanung; alles darüber ist ungewöhnlich. Das Denkungsprinzip dabei, das sich kaum vermeiden lässt: Je kürzer der Zeitraum, das heißt je gegenwartsbezogener der Aufmerksamkeitsfokus, desto geringer die Abweichung der Planungsprognose zur Gegenwart. Kürzer: desto »sicherer« die Aussage. Denn ich achte ja auf ziemlich wenig Neues oder Anderes (durch den kurzen Zeitraum) und vernagel mir damit die Sicht auf alles, was nicht im mir bekannten Phänomenhorizont liegt. Wie stehen da wohl die Chancen für Weitsicht, Umsicht und Voraussicht? Dafür, Wandel mit einkalkulieren zu können: VUCA-gerecht zu planen?

Wie kann man diese Einsicht nutzen?

Die Kernkompetenz wissenschaftlicher Zukunftsforschung für Zeit hier in drei Merksätze heruntergebrochen. - Zunächst eine Übersicht: Wir skalieren Zeit »hoch« oder »runter«.

Zeitspiele2

In VUCA-Umfeldern gibt es eine Menge Unerwartbares. Merke (1): Unerwartbares lässt sich überhaupt nicht planen. Und das Überhaupt-nicht wird auch nicht dadurch unproblematischer, dass man kleinteilig plant. Präzision hilft nicht bei Relevanzfragen (-> Gesetz #1, letzter Blogbeitrag) - ein sehr alter, gut verdeckter logischer Fehlschluss. In der Ökonomie haben wir eine Menge solcher Schätzchen im Keller.

Die Zukunftsforschung eicht Zeit noch viel detailreicher als auf dem Schaubild gezeigt, aber als pragmatischer Prüfstein im Führungsalltag reicht das. In welcher Rolle steckst du gerade, mit genau dieser Entscheidung? Merke (2): Je taktischer, desto managementnäher. Je strategischer, desto transformativ-visionärer. Es hilft, beides nicht zu verwechseln. Taktisch etwas geradezurücken oder zu richten mit steilen Visionen, die im Leitbild indiziert sind, ist keine gute Idee. Der Grund, warum Führungskräfte keine Zeitspiele betreiben, ist unserer Beobachtung nach genau diese Unsicherheit: Was ist eine taktische, gegenwartsbezogene Entscheidung, und wo beginnt die strategische Zone? 

Neunmalkluge Akademiker, die jetzt womöglich einwenden, dass diese Hinweise entweder banal oder gar unverschämt seien (»ich kann ja wohl noch Taktik von Strategie unterscheiden!«), stehen nicht unbedingt im realen Leben. Theoretisch stimmt das natürlich. Bloß ist das in VUCA-Kontexten häufig nicht mehr transparent: eine rein taktische Entscheidung kann eine Rutschpartie in Richtung eines neuen Strategiepfades einleiten, ohne dass hinterher noch jemand sagen könnte, was die neue strategische Richtung eigentlich genau ausgelöst hat. Solche Effekte sind typisch für komplexe Umfelder. (Denke aber keiner, die Managementlehrbücher würden in Sachen Strategie & Taktik deswegen nachsteuern...!)

Also: Immer prüfen, was der Vorgesetzte erwartet, hier und jetzt, bei dieser Entscheidung. Was für eine Rolle fülle ich gerade aus, welchen Hut habe ich auf? Gebe ich gerade die Visionärin oder den Ausbügler? Merke (3): Die oberen Ebenen lassen nicht ohne Grund das Mittelmanagement über solche Fragen häufig im Unklaren. Oder sie denken sachlogisch und vergessen schlicht, den Zeithorizont mit zu eichen. Komfortabler Effekt für die Hierarchie: Die Verantwortung für Fehlentscheidungen können bequem nach unten durchgereicht werden, ohne dass die Mitte diese Verantwortung tragen könnte – Monkey Business.

Vergewissere dich über die (Zukunftsforscher würden sagen: zeitlogische) Erwartungshaltung deiner Auftraggeber für die anliegende Planung oder Entscheidung. Gibt es keine (oder kein Briefing), die Planungsentscheidung anhand der illustrierten Kriterien legitimieren. Beispiel: Entscheidung gegen X, weil vor allem taktisch relevant, dadurch zeitkritisch und Managementaufgabe. Oder: Entscheidung für Y, weil Purpose-relevant, dadurch strategiegebunden und resilienzkritisch. Die Erfahrung lehrt: Mit solchen Kriterien sieht man weiter als viele Hierarchiespitzen - und hat seltener das Nachsehen.

Allzeit gute Sicht nach vorn!

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5 Gesetze der Zukunftsforschung #1 https://www.denkenaufvorrat.de/blog/gesetze-der-zukunftsforschung-1/ https://www.denkenaufvorrat.de/blog/gesetze-der-zukunftsforschung-1/#comments Mon, 07 Feb 2022 20:32:00 +0000 Gesetze der Zukunftsforschung https://www.denkenaufvorrat.de/blog/gesetze-der-zukunftsforschung-1/ Weiterlesen

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Hat die Zukunftsforschung »Gesetze« oder Prinzipien, nach denen sie arbeitet? Und können die auch andere, etwa Führungskräfte oder allgemein die Unternehmen nutzen? Wir gehen das in loser Folge mal durch, und: Ja, so etwas gibt es! Alles ca. 100 Jahre alt, gut abgehangen also - und im europäischen Wirtschaftsalltag nahezu irrelevant (im Gegensatz zum pazifischen Wirtschaftsraum).


1 Lieber vage richtig als präzise falsch liegen

Den Satz muss man vermutlich zweimal lesen.

Worum geht's?

Die Prinzipien wissenschaftlicher Zukunftsforschung kommen (nicht ausschließlich, aber überwiegend) aus dem Kontext neuer, nicht-kanonischer Wissenschaften, allen voran den neuen Naturwissenschaften (moderne Physik, Kybernetik, Neuro-Sciences usw.). Warum ist das wichtig? Weil hier empirisch validiert Phänomene gemessen werden, die es – laut westlichem Weltbild – nicht gibt. Man darf »Superpositionen« bestaunen (ein Phänomen ist an zwei Orten gleichzeitig) oder Phänomene entstehen erst dadurch, dass sie jemand beobachtet. Ein unterhaltsames Kuriositätenkabinett, das von Geistes- und Sozialwissenschaften bis heute ignoriert wird. Begründung: ›Hat mit der sozialen Welt nichts zu tun‹. 

Unternehmerische Bedeutung

Ob die Begründung stimmt, hängt stark von der Branche ab. Für einen boomenden Handwerksbetrieb stimmt sie ganz sicher, für einen globalen Konzern, der im Westen und in China vertreibt, schon weniger; und für ein Ministerium, das die Impfquote erhöhen soll, ist sie falsch. Der Handwerksbetrieb muss sich um solch »akademische« Flausen erst gar nicht kümmern. Der globale Konzern sieht sich im Westen mit völlig anderen Geschäfts- und Marktbedingungen konfrontiert als in China, muss jedoch Pricing und Service global vergleichbar halten. Und das Ministerium muss Postfaktizität managen (je nachdem, mit wem es spricht, ist die Welt eine andere). Sprich: Je schärfer die VUCA-Bedingungen, desto unschärfer die Beobachtungsergebnisse, und desto bedeutsamer wird quasi automatisch Relevanz; die Frage »was ist überhaupt wichtig?«. Denn mit Präzision kann man unter Ungewissheit nichts ausrichten. Ein Modernisierungsgefälle also.

Wie kann man das nutzen?

Die Zukunftsforschung hat daraus zahlreiche Konsequenzen und Methoden abgeleitet, mit denen sie arbeitet. Unter anderem die obige Maxime, die übersetzt bedeutet: Unter Bedingungen hochdynamischen Wandels, Ungewissheit und Komplexität entscheide nicht dataistisch. Du magst Zahlen bis zur fünften Nachkommastelle vorweisen können (z.B. dank deiner KI), was dich aber nicht davor bewahrt, in bestimmten Situationen in höchster Präzision an den relevanten Punkten vollständig vorbeizuplanen oder zu entscheiden.

Deshalb gelten zukunftsforscherische Planungsroutinen.

  • Vorab prüfen, worum es geht. Brauchst du die Nachkommastelle oder eher eine Peilung, was hier gerade überhaupt wichtig ist? Dass man mit hoher Präzision Relevanz einfach »zu- oder totrechnen« kann, ist ein alter Hut aus dem 19. Jahrhundert. Unsere Eliten glauben noch immer an ihn (zumeist, weil sie entsprechend sozialisiert wurden), mehr an Grundlage gibt es jedoch nicht. (Für Interessierte: Pate dafür steht der gute alte »qualitative Sprung«: Du machst irgendetwas immer wieder und so lange bis – abrakadabra – sich plötzlich eine Evokation ereignet und du dank deiner Tonnenideologie plötzlich auf neuer Stufe landest. Hinreichend Quantität verursacht neue Qualität. Hat nichts mit Logik zu tun, klingt aber gut und stand sehr lange in Geltung.)
  • VUCA-Planung: Zugriffstechniken auf Zukunft anreichern. Rechnen ist gut, über die Ergebnisse nachdenken ist besser. Unter VUCA-Bedingungen sind Zahlen nicht hinreichend.
  • Planungsweisheit für VUCA-Kontexte: Die Nachkommastelle ist in komplexen Umfeldern aussagelos. Wir lieben Präzision, weil Rechnungslegung, Buchhaltung, Controlling in den letzten 150 Jahren genau und nur darüber liefen. Verständlich, dass wir nicht loslassen. Wenn sich jedoch ein neues Weltbild breit macht („nicht alles, was zählt, kann man zählen, und nicht alles, was man zählen kann, zählt“, Einstein), wechseln Maßstäbe. Die Suche nach Sinn und Bedeutung, die gerade thematisch überall hochkommt, hat mit Komplexitätslasten zu tun: Wir brauchen vielerorts erst einmal eine Orientierung, und dann können wir auch wieder messen. ›In dieser Situation - was ist hier gefordert?‹ Die meisten akzeptieren bis heute nicht, dass Präzision keineswegs immer oder ›automatisch‹ relevant ist. (Deswegen werden disruptive Innovationen ohne Marktforschung entwickelt: Sie sind maximal relevant, aber marktstrategisch nicht kalkulierbar.)

Aufgabe: Wir müssen Metriken für Relevanz entwickeln. Und Controlling neu denken.

Allzeit gute Sicht nach vorn!

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REIHE BEISPIELE: Wie gelingt Kulturwandel durch neue Arbeitsorganisation? https://www.denkenaufvorrat.de/blog/beispiele-transformation3/ https://www.denkenaufvorrat.de/blog/beispiele-transformation3/#comments Mon, 11 Oct 2021 16:29:00 +0000 https://www.denkenaufvorrat.de/blog/beispiele-transformation3/ Weiterlesen

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Worum geht's?

Wir haben uns kürzlich mit dem Hype um's Homeoffice, um hybrides Arbeiten und Remote Leadership beschäftigt (BeitragVideo). Unsere Beobachtung: Mit einer neuen Arbeitskultur hat der Homeoffice-Schub unter Corona bislang nichts zu tun; hier geht es fast ausschließlich um Arbeitsorganisation. Und wenn wir uns selbst einreden können, dass eine Umorganisation der Anwesenheitspflicht bereits eine kulturelle Innovation ist, gelingt uns die wirtschaftliche Transformation ja vielleicht doch ganz gut. Deshalb praktizieren wir das gerade alle ganz engagiert und feiern hybrides Arbeiten als »New Work«.

Frage: Gibt es Beispiele für Umstellungen von Arbeitszeit und –ort, die tatsächlich die Arbeitskultur verändern, womöglich tiefgreifend? Was muss geschehen, damit eine raumzeitliche Entregulierung von Büroarbeit in eine selbstorganisiertere, schnellere, autonomere und vielleicht sogar innovativere Entscheidungskultur umschlagen kann? Gibt es Ideenimpulse und Praxis-Splitter zum Klauen?

Disruptive Organisationsmodelle...

Unter den Schlagwörtern »Musterbrecher« oder »Augenhöhewegefilme« sind inzwischen Dutzende von Vorbildern zu besichtigen. Amüsant, dass so häufig danach gefragt wird, diese Beispiele sind nicht mehr ganz frisch (aber zeitlos-inspirierend). Hier ein Fall daraus, auch der etwas angestaubt, aber genau deshalb umso interessanter (was es schon lange alles gibt...!). Ein entsprechendes Unternehmen am Bodensee, hier im kurzen Imagefilm, stellt Ladegutsicherungen her.

• Vertrauensarbeitszeit – in der Produktion (Ein-Stück-Fertigung, Fließband). Ich habe erlebt, dass Betriebswirte das noch nicht einmal glauben, wenn sie es dokumentiert sehen ("coole PR!").

• Verbreiterung und Ausdehnung der Prozesskontrolle: weg von reinen Kennzahlen, hin zu sinnlicher Erfahrbarkeit. Lassen sich Prozessfehler »sichtbar« machen? Durchaus, konkret in der Produktionshalle. Anstatt über Fehler zu reden, gehen die Mitarbeiter »zum Fehler hin« und schaffen damit einen visuellen Indikator. Sind alle unterwegs, läuft 'was schief.

• Umdefinition von »Führung«: ein seltenes Beispiel für geistige Arbeit im Unternehmen. Wenn sich Führung nicht mehr hierarchisch vollzieht, was machen dann die Führungskräfte? Hier gibt’s Vorschläge: neue Rollen.

• Inzwischen häufig praktiziert: Radikale KPI-Transparenz. In der »Schwätzer-Ecke« sind die aktuellen Zahlen ausgehängt. Und so weiter.

... und die Selbstimmunisierung von Führungskräften

Ein paar Highlights aus dem geistigen Gruselkabinett der BWL-Reflexe (nicht ausgedacht!):

• „Mag sein, dass das bei denen funktioniert. In unserer Branche ist das nicht möglich.“

• „Mit meinen Leuten wäre das undenkbar. Sie kennen unsere Mitarbeiter nicht.“

• „Unsere Führungskräfte würden da nicht mitgehen. Die wollen das auch gar nicht – was sollen die denn dann den ganzen Tag über machen?“

• „Telefon und Mails zu verbieten ist doch verrückt. Da spielt doch keiner mit, ständig herumzuwandern – wollen wir jetzt zurück ins Mittelalter?“

Das Unverständnis über den Weltbild-Shift, der sich hier zeigt, ist derart fundamental, dass Debatten über solche Fälle manchmal keinen Sinn machen. Unser eigenes Learning: Transformation kann man nur erleben und erfahren, nicht kommunizieren (weil ohne jede sinnliche Wahrnehmbarkeit) und sogar auch nicht ansehen (weil es »mit mir nichts zu tun« haben muss, d.h. leicht psychisch dissoziierbar ist). Das erschwert Transformation immens - und ist der Grund, warum Innovationshelden wie Steve Jobs u.a. in jeder freien Minute durchs Valley gedüst sind, sich Bonbonfabriken und alle möglichen anderen Fremdfirmen ansehen, besuchen, reingehen, mit den Leuten sprechen. Ohne sinnliche Erfahrbarkeit von Fremdheit ist Fremdheit nicht adaptierbar. Und wenn jeder in seinem eigenen Weltbild-Saft schmort ("meine Kollegen und Wettbewerber sehen das genauso" - übrigens eine sträflich unterschätzte Basisfunktionalität von Kongressen, Tagungen und Verbandstreffen, häufig nicht viel anderes als Silos zur Pflege des Confirmation Bias), wird's eben schwierig.

Für verallgemeinernde, regelgeleitete Vernunfteuropäer muss das, was man bei solchen Zukunftspraktizierern sieht, konsequenterweise dumm sein, unlogisch, verrückt, entlegen, irrational oder pathologisch. Höchst individualistische Spinnerei, weil

a) die eigene Erfahrung fehlt, dass das funktioniert, und

b) die Prinzipien und Maximen, nach denen es funktioniert (die potenzielle Verallgemeinerbarkeit, die wir bräuchten, damit unsere kognitive Festplatte anspringt) unbekannt ist. Es erklärt uns ja keiner.

Das praktische Resultat: Unvernünftig sind immer die anderen. (Das übrigens auf jeden Transformationssektor anwendbar ist.)

Fazit

Kulturveränderung in Organisationen heißt, Werte und Glaubenssätze zu verändern; das ist richtig harte Arbeit. Und die noch schlechtere Botschaft: leider auch die eigenen (das war in der guten alten hierarchischen Zeit noch nicht nötig). Wir schrieben es bereits: Wir wollen das derzeit nicht. Und wenn wir das nicht wollen, kommt jeder Wandel recht, der es erlaubt, das Dauergerede über Transformation irgendwie aufrechtzuerhalten, während sich die Mehrheit der Firmen weiterhin ungestört in der Führungskultur des 20. Jahrhunderts einhaust. Eigentlich könnte uns das ja auch egal sein, wenn wir es uns leisten könnten, uns argumentativ auf Unternehmer- und Eigentumsverantwortlichkeiten zurückzuziehen (»ist doch deren Problem!«). Bloß können wir das nicht mehr. Die Gründe heißen globale Ökonomie, internationaler Wettbewerb oder volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. (Immer wieder einen Verweis wert: Wo steht Europa 2050, wenn wir so weitermachen?). 

Es ist bemerkenswert, was wir gegenwärtig alles schaffen unter die mentale Teppichkante zu kehren. Innerbetrieblicher Kulturwandel ist längst - mindestens seit zwei Jahrzehnten - eine volkswirtschaftliche und soziologische Systemaufgabe. Dass die Firmen stolpern, ist konsequent - wir tun so, als ob sie das für sich alleine lösen müssten. Dabei betrifft sie alle Organisationen, egal, in welchem Bereich. Transformation heißt: die Welt anders betrachten und bewerten. Und genau so, wie die Gesellschaft da nicht hin will, wollen es auch unsere Firmen nicht - logisch, es sind dieselben Menschen. Das größte Faszinosum der Menschheitsgeschichte (Aufstufung unseres Bewusstseins), das nur alle paar Jahrhunderte, teilweise auch nur in Jahrtausenden einmal passiert, und bisher fast ausschließlich durch Krieg und Chaos ausgelöst wurde, könnten wir erstmalig absichtsvoll und systematisch selbst steuern. Und der Kontinent sediert sich. 

to do's:

- Besuchen, anschauen, sprechen. Die bequemste Art, Neuerungen auszusitzen, ist, die Sinne zu versiegeln.

- "Meine Leute sehen das genau so wie ich": Wer sind "Ihre" Leute? Man sieht, was man sieht. Die zweitbequemste Art, Neuerungen auszusitzen, ist, die eigene Community exklusiv zu machen. Das garantiert Status und Sicherheit.


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REIHE BEISPIELE: Wie geht Transformation in der internationalen Wirtschaft? https://www.denkenaufvorrat.de/blog/beispiele-transformation2/ https://www.denkenaufvorrat.de/blog/beispiele-transformation2/#comments Mon, 11 Oct 2021 16:27:00 +0000 Transformationsgesellschaft https://www.denkenaufvorrat.de/blog/beispiele-transformation2/ Weiterlesen

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Worum geht's?

Unsere These lautet: Geistig werden wir ein wenig arbeiten müssen, sonst wird das hier in Europa mit unserer Transformations-Serie (digital, ökologisch, wirtschaftlich, sozial usw.) schwierig (zum Beitrag, zum Video). Unsere Leser* wünschen sich dazu mehr »Butter bei die Fische«. Wie geht das mit der geistigen Arbeit? Gibt’s dafür Beispiele? Dieses Mal beschränken wir uns auf den Sektor Wirtschaft; und hier auf die zwei wichtigsten Konkurrenten, die bereits seit Jahrzehnten ackern.

1. Silicon Valley

Das Prinzip: Man nehme einen anderen Sektor (eine fremdartige Wissenschaftsperspektive, andere Branche, gegenteilige politische Wertung o. A.) und »transponiere«, verschiebe sie auf das jeweilige Problem. Hier am Beispiel Google: Nimm die klassische Ingenieurs-Denke und appliziere sie auf Menschlich-Allzumenschliches. Ergebnis: Das Unternehmen (richtiger: Alphabet, die Holding) investiert seit Jahren massiv in synthetische Genetik. Ein erstes Vorbild war CRISPR, die Genschere (Chemie-Nobelpreis 2020). Mit ihr kann man kostengünstig und präzise einzelne Gensequenzen entfernen, einfügen, manipulieren, dazu muss nur eine RNA verändert werden. Lassen sich in diesem Bob-der-Baumeister-Stil auch Menschen verändern? Klar! In chinesischen Laboren werden längst Lebewesen gezüchtet, die es auf der Erde nicht gibt; und wenn wir 200 Jahre alt werden und unseren IQ auf das Doppelte oder Dreifache pimpen wollen, hilft derlei dafür ebenfalls.

Geistige Arbeit à la california im Interview (Astro Teller, »Captain of Moonshots«, Google): Solche Verschiebungen sind interessant, auch, wenn man nicht weiß, was dabei herauskommt. Sie verbessern die Welt. Und "wenn du dich darauf konzentrierst, die Welt für alle besser zu machen, wird das immer ein gutes Geschäft." So funktioniert Transformation auf transhumanistisch.


2. China

Von der Medien und Öffentlichkeit bisher geflissentlich ignoriert, gibt sich China alle Mühe, seinen modern-technologiediktatorischen Hegemonialanspruch so zu profilieren, dass eine Art »Weltbild« dabei herauskommt – also ein Mindset, das die Westler kapieren. Wofür China soziokulturell in der globalen Welt steht, vermag derzeit kaum jemand zu sagen, obwohl und trotzdem hier viel (PR-)Arbeit geleistet wird. Aber keine transhumanistische - also eine, die den Menschen überbieten will -, sondern fast schon eine subhumanistische. Denn eine anthropologisch bislang gesetzte Ebene wird getilgt: die normative.

Das Ganze heißt schön und vielversprechend, „Unterm Himmel“. Der äquivalente Begriff dafür lautet „Tianxia“. Ein Autorenstar dieser Szene (Buch-Link) versucht, durch die Etablierung des Original-Begriffs ein Label einzuführen, unter dem, politisch-philosophisch, China in seinem neuen Weltbild „gebranded“ werden kann. Ganz offenherzig wird bekundet, dass Tianxia das politische Ideal einer Weltordnung sei – mit einem „neuen Verständnis von Geschichte, von Institutionen und politischen Räumen“. Da weiß man gleich, woran man ist. In aller Kürze die Pointe des Konzepts: Es geht darum, ein kommunikationspolitisch universalisierbares Denkangebot zu schaffen, das „auf jede sich auf einen Wertekanon berufende Erklärung, Kritik oder Narration (.) verzichte(t)“. Um eine „›unbarmherzige‹ ontologische Analyse: ob nämlich eine Existenz in der Lage ist, auf eine ihr gemäße Art erfolgreich fortzuexistieren (...) – ohne Rücksicht auf emotionale oder weltanschauliche Wertungen“. Die Existenz sei den Werten vorangestellt. Für den westlichen Vernunfteuropäer* übersetzt: Sie lesen hier eine erste Gesellschaftsutopie, die ihr Fundament vollständig von Glaube und Werten umstellt auf Evolution (natürlich in anderem Wording). Es gibt keinerlei re-ligio mehr, an was auch immer. (Ein eindrückliches Beispiel dafür, dass in anderen Teilen der Welt Denkerländer durchaus florieren.)

Klingt zwar gruselig, aber erst mal konsistent, man kann ja mal probieren, was dabei herauskommt. Derzeit geht es jedoch vor allem um die intellektuelle Absicherung und Legitimation des eigenen Machtanspruchs. Der Anfang ist gemacht, das »Weltbild« wächst.

Geistes-PR à la China von einem anderen »Rockstar«, Zhang Weiwei, Uni Shanghai: Der Westen habe keine Ahnung von der erosiven Kraft seines freiheitlichen Fundaments, das bei der kleinsten Störung zusammenbrechen könne. Richtig interessant würde es erst, wenn wir anfingen, Menschenmassen auf ihre biologisch-generativen Existenzpotenziale hin zu ordnen und zu optimieren. Der Westen mag sich derweil seine - ganz sicher kurze - libertäre Luxusperiode leisten und damit Zeit verplempern, wir nutzen deren blinden Fleck während dessen zum Anlaufnehmen für eine technologische Perma-Verwurzelung unserer chinesischen Kultur auf diesem Planeten. Erst mal.


Kein Fazit

Und Europa so? 



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REIHE BEISPIELE: Wie geht echte Transformation in Wirtschaft und Politik? https://www.denkenaufvorrat.de/blog/beispiele-transformation1/ https://www.denkenaufvorrat.de/blog/beispiele-transformation1/#comments Mon, 11 Oct 2021 13:58:00 +0000 Transformationsgesellschaft https://www.denkenaufvorrat.de/blog/beispiele-transformation1/ Weiterlesen

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Worum geht's?

Wir haben uns kürzlich mit Aspekten der wirtschaftlichen, politischen und geistig-wissenschaftlichen Transformation beschäftigt (Beitrag, Video). Diese besteht nicht etwa aus neuer Fehlerkultur, Grundeinkommen und mehr Exzellenzclustern, sondern aus einem substanziellen Wandel unserer westlichen Weltsicht in allen Sektoren, nicht nur in diesen dreien. Und unsere Leserschaft mosert: Gibt's dazu Beispiele? Wie hat man sich das vorzustellen? Macht das überhaupt schon jemand?

Warum kaum jemand Beispiele nennt (und kennt)

Leider ist das mit den Beispielen nicht so einfach: aufwändig, kompliziert und es dauert lang – das ist der Haken. Wieso? Zumindest der Grund ist einfach: Weil wir dazu die Beispiele (die es gibt!) aus dem nächsten Weltbild heraus »zurück«erklären müssen für unser heutiges Denken; denn sonst bleiben sie schlicht exzentrische Eintagsfliegen aus dem Kuriositätenkabinett. Das heißt, wir führen in der Erklärung Weltbilder parallel. Und wenn es etwas gibt, das unsere Kognition definitiv überfordert und diese deshalb systematisch zu verhindern sucht, dann ist das, Weltzugänge parallel zu schalten. Meist geht so etwas schief (Name: Psychopathologie). Aus Platzgründen daher nur zwei Beispiele. Führungskader mögen die ganze Diskussion übrigens nicht (akademisch! Theorie!). Genau deshalb haben wir keine Transformationsgesellschaft, sondern nur Transformationsdebatten. Ein Ende dieser Situation ist nicht in Sicht.

1. Wirtschaft

Das Beispiel kennt jeder: Der Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus gründete 1983 die Grameen Bank, die sogenannte Mikro-Kredite an die Ärmsten in Bangladesch verleiht. Dabei nutzte er das kulturell verankerte soziale Bindungssystem in asiatischen Ländern (Pflichtgefühl zur Rückzahlung, kasten- oder schichtenspezifische Ehre, Angst vor Gesichtsverlust usw.). Mitglieder sind Mit-Eigentümer, die Grameen Bank gehört also auch ihren Kunden.

Yunus und Bank sind aufgrund ethischer Fragen (darf eine Firma kulturelle Bindung »ausnutzen«?) sowie zweifelhafter Praktiken (Mitarbeiter sollen Kunden in Mikrokredite hineingedrängt haben) wiederholt in die Kritik geraten. Derlei schafft es im Westen, dass die Idee als solche sofort wieder aus dem Spiel genommen wird – eine bemerkenswerte logische Fehlleistung, aber auch die perfekte Selbstimmunisierung gegenüber geistigem Fortschritt. Uns interessiert hier nicht eine eventuelle kriminelle Praxis, sondern der ökonomische Grundgedanke von Yunus, und der ist eine echte ökonomisch-geistige Disruption. Was macht diese Bank?

Antwort: autologische Ökonomie

Wir brauchen ein anderes Wachstumsmodell, das den kapitalistischen Rahmen – zunächst und bis auf Weiteres – nicht sprengt (wir haben noch keinen Nachfolge-Rahmen). Dieses nächste Modell sollte zum Beispiel viel stärker qualitativ kalibriert sein als quantitativ, und eben dieser Mechanismus liegt hier vor. Der Gründer sieht soziale Verwerfungen aufgrund kapitalistischer Wirtschaftslogiken (Frauen bekommen keinen Kredit, Arme nicht, Bettler sowieso nicht – wegen betriebswirtschaftlicher Untragbarkeiten, denn die Ausfallsicherheit fehlt). Grameen gewährt nun Kredite genau jenen, die von der kapitalismusbedingten Exklusion zentral betroffen sind und nutzt zur Kompensation fehlender Ausfallsicherheiten einerseits die asiatische Sozialethik, andererseits, was das Geschäftsmodell selbst anbelangt, das ideelle Zentrum des kapitalistischen Systems selbst: den Zinseszins-Mechanismus. Auf einem Konto vermehrt sich Geld »von selbst« (zumindest in einer klassischen Verzinsungs-Ökonomie, die 1983 noch herrschte). Prinzip: Du wendest den Kapitalismus auf sich selbst an. (Auf schlau heißt solches Denken »Autologie«; das ist eine Logik, die ihren »Code« auf sich selbst »zurückkopiert«. Systemtheoretiker* kennen die Figur des »re-entry« - that's it.) 

Du bekämpfst Armut aus dem Herzen des kapitalistischen Systems heraus, das diese Armut versursacht, indem du Armen Geld leihst, auf dass sie Geschäfte machen, die die Wirtschaft ankurbeln, während die Bank durch den Kredit-Zins Geld verdient und zunehmend mehr Kredite an Arme (Frauen, Bettler...) verleihen kann. Ein perpetuum mobile, das den Kapitalismus an genau der Flanke angreift (korrekter: anfängt umzumodeln, in eine andere Richtung zu lenken), an der er den größten Schaden anrichtet. Wenn dieses Prinzip systematisch entwickelt würde, bestünden reelle Chancen, den Kapitalismus in seiner eigenen Logik derart zu überformen, dass am Ende etwas anderes dabei herauskommt. Selbstverständlich, es wird sich immer um ein Entwicklungs- und Wachstumsprogramm handeln, aber um eines, das – möglicherweise, das ist die Vision – irgendwann die Balance wahren kann. Die Balance von arm-reich, oben-unten, Natur-Technik, Tier-Mensch-Pflanze ... Das herauszufinden wäre der ökonomische Job. Wir sehen hier am Horizont die vage Idee eines Post-Kapitalismus heraufdämmern, der sich möglicherweise selbst in Schach halten kann. Das könnte der Nachfolge-Rahmen sein.

So, verehrte Leserinnen und Leser, geht wirtschaftliche Transformation, konkret und praktisch. Ein Bankenbeispiel ist deswegen so instruktiv, weil der Finanzsektor das ›Auge des Orkans‹ der kapitalistischen Funktionsweise darstellt. Da sich auf diesen geistigen Job aber niemand bewirbt, dürfen Sie das alles getrost gleich wieder vergessen: Im Land der Dichter und Denker möchte derart kompliziertes Zeugs weder jemand ersinnen noch hören. (Übrigens, interessant dazu: Der Wikipedia-Artikel über die Bank - wie aus dem interkulturellen Lehrbuch. Hier würden „mit Gruppendruck (!) Mikrokredite an Menschen ohne Einkommenssicherheiten“ vergeben; offenbar eine Art Finanz-Scientology 4.0. Wer will denn sowas? - So funktioniert westlicher Synapsensuizid. Wahlweise auch über ein Downgrading radikaler Ideen auf spezielle Zielgruppen oder Wirtschaftszweige, Stichwort »Social Business«. Intellektuelle Verzwergung können wir gut, und immer auch: Moral.)

Wer sich einen persönlichen Eindruck vom »Großen Manipulator« Yunus verschaffen möchte, hier ein Ausschnitt (Schweizer Fernsehen 2008, daher schlechte Qualität).



2. Politik

Auch die politische Transformation ist extrem kompliziert und fordernd. Hier nur eine Facette: Wir haben in ersten Teilen der Bevölkerung postfaktische Weltbilder (Eliten seien beispielsweise von Echsen durchsetzt, die abends unter die Erde gehen und Kinderblut trinken). Eine politisch-transformatorische Frage lautete: Wie erreichen wir diese Menschen? Wie stellt Politik den systemischen Grundkonsens sicher - inzwischen richtiger formuliert: ›wieder her‹ -, ohne den staatliche Legitimitätsbeschaffung ihren Sinn verliert (weil Sinn anfängt mehrdeutig auseinanderzumäandern)? Die Leserin ahnt schon: Hier wird’s auch nicht einfacher.

Was sagen die Politiker*? »Wir müssen den Menschen besser zuhören.« »Wir müssen unsere Programme besser erklären.« »Wir brauchen mehr Hilfen und Unterstützung, damit das Umdenken erleichtert wird.« (Also Verhaltensökonomik, Nudges, Priming & Co. Dafür zuständig ist seit Jahren die Abteilung »Wirksam regieren« als Kanzler-Stab, in dem sich Psychologen derlei ausdenken.)

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Tiefenmanipulation als Zukunft des Regierungshandelns

Ob das Querdenker & Co. überzeugt? Ich stelle mir vor, wie eine Querdenkerin auf solche Anzeigen reagiert und sich - sofern sie sich bisher noch nicht für Verschwörungstheorien interessiert hat – spätestens jetzt anfängt zu fragen, ob der staatliche Manipulationssumpf, für den einige aus ihrer Querdenker-Gruppe gestaltwandlerische Echsen verantwortlich machen, nicht womöglich viel tiefer ist als sich das alle vorstellen können. Soll heißen: Wenn man den Kitt der Gesellschaft, die Beziehungs- und Bindungsenergie unserer kulturellen Gemeinschaft, effektiv und strategisch zersetzen will, dann muss man zum einen Banalitäten verbreiten (›wir hören jetzt mal alle ganz konzentriert zu‹), und zum anderen die staatliche Manipulationsmaschinerie anwerfen und dafür fleißig öffentlich Leute anwerben. So geht derzeit Politik 21. 

In Beispiel-Alternativen gewendet: Fragt jemand nach den Gefühlslagen, die die Echsen-Gläubigen dazu verleiten, Eliten überhaupt für Echsen zu halten (Abstiegsangst, Deklassierungsangst aufgrund „ungezügelter“ Migration, generative Sorgen – ›was soll aus meiner Tochter mit ihrem Realschulabschluss werden?‹ -, wie wird die eigene Rente mal aussehen, womöglich trotz zweier Parallel-Jobs, wieso redet niemand über die Individual-Kosten der ökologischen Wende, wie soll das mit meiner Miete weitergehen...)? Dass ausgerechnet »Führungs«kader substanzielle Sorgen und Bedürfnisse der Bevölkerung offenbar gar nicht mehr in der Lage (oder willens?) sind wahrzunehmen, spricht nicht gerade für deren Menschlichkeit. Gesetzt aber, eine solche Sensibilität praktizierten die Verantwortlichen: Wäre das politische Systems überhaupt in der Lage, strukturell etwas umzustellen, um diesen Bedürfnissen und Gefühlslagen zu entsprechen? In welchen institutionellen Settings sollten und könnten solche Korrekturen laufen? (Wahlen sind dafür ein viel zu grobschlächtiges Instrument = »mit Kanonen auf Spatzen schießen«, und auch mehr Partizipation ist erst einmal nur ein Prinzip und noch keine institutionelle Umordnung.) 

Und so weiter. Beispielhafte Fragen, die auf der Hand liegen, aber niemand stellt; von Antworten ganz zu schweigen. Sozialer Wandel im Blindflug - wir warten ab, was passiert.

Fazit

Substanzielle, gehaltvolle Beispiele und Ideen zu nicht bloß behaupteter, sondern praktizierter Transformation gibt es. Sie laufen jedoch dem überbordenden Denkentlastungsbedürfnis des Westens diametral zuwider. Dieses Bedürfnis produziert, je länger es dauert, umso dramatischere Erosionen des Fundaments unserer Gesellschaften; erste Gruppen entfernen sich vom Systemkonsens. Diese Abbrüche finden wirtschaftlich, politisch und geistig-wissenschaftlich statt. Es lässt sich derzeit nicht erkennen, dass – außer Floskeln und logischem Unsinn – unsere »Führungen« dazu etwas beizutragen hätten (die BuTaWa wäre eine passende Gelegenheit gewesen). Der Claim für das übergroße, populäre Deckmäntelchen für dieses Versagen lautet: »Einfache Lösungen gibt es eben nicht mehr«. Hier befinden wir uns dann im Basislager des öffentlichen Diskurses, im bestens gedeihenden, wild-wüchsigen Lebensraum der neunmalklugen Madame ›Komplexität‹.

Unsere Vermutung zu der Dame lautet, dass ihr wissens-adeliger Name für bloß Kompliziertes benutzt wird, auf das gerade keiner erpicht ist (»wenn die Trauben zu hoch hängen und die Anstrengung des Pflückens zu groß erscheint, nennen wir's einfach ›komplex‹ «). Heutzutage ist bekanntlich alles komplex – jedenfalls alles, für das wir keine Lösung haben. Und das klingt in jedem Fall besser als: »Wir haben keine Ahnung. Und derzeit definitiv auch keine Lust«.



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REIHE DURCHBLICK: Transformations-Gesellschaft. Was wäre zu tun, wenn wir wirklich dorthin wollten? https://www.denkenaufvorrat.de/blog/transformationsgesellschaft/ https://www.denkenaufvorrat.de/blog/transformationsgesellschaft/#comments Tue, 05 Oct 2021 16:36:00 +0000 https://www.denkenaufvorrat.de/blog/transformationsgesellschaft/ Weiterlesen

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Worum geht's?

Bundestagswahl geschafft, die nächsten Monate gehören Strategie und Taktik. Gibt es - abseits der Machtspiele - zentrale »Mega«-Hausaufgaben, die gemacht werden müssten? Vielen dürften bei dieser Frage Themen und Projekte einfallen wie Digitalisierung, ökologischer Wandel, Gesundheitssystem reparieren oder Ungleichheit bekämpfen. Zukunftsforschung bewertet indes »in the long run« - für uns sind solche Projekte sozusagen eingepreist, sie stecken in den Mega-Hausaufgaben drin. Was also wären aus zukunftsforscherischer Sicht Großaufgaben, in deren Folge wir dann auch digitaler, ökologischer und gerechter werden könnten?

Hier selektiv drei Felder. Alle haben mit Purpose zu tun, mit Sinnfragen. Soll heißen, es geht dabei weder um Lösungen (Credo der Unternehmer* und Politiker*) noch um richtige, wahre oder allgemeingültige Antworten (Credo der Wissenschaft). Und damit sind wir auch schon beim Kern des Problems: Denn wir kennen 

  1. noch nicht einmal die logische Ebene, auf der wir bei den großen Fragen suchen müssten; und 
  2. das einzige, was die Gesellschaft interessiert, sind konkrete Ideen, Antworten, Vorschläge, Beispiele. L Ö S U N G E N. Unsere Gesellschaft ächzt unter Denkentlastungsbedürfnissen - bloß keine Konzepte! Bloß kein abstraktes Zeugs! Das Letzte: Theorien. Das Attribut für Denken auf Unternehmerdeutsch lautet »akademisch«.

Gibt es ein unauffälligeres und gleichzeitig wirksameres Mittel, sich echten Wandel vom Hals zu halten? Denn wenn Nach- und Umdenken verweigert wird, gibt's für neuartige Problemlagen konsequenterweise auch keine Lösungen. Bisher hat dieses Programm eine Resonanz wie geschnitten’ Brot. Und da ohne konzeptionellen Gesamtrahmen auch keinerlei Maßstäbe vorhanden sind, ob ein Vorhaben oder eine Idee »gut« oder »schlecht« wäre, und deshalb logischerweise auch kaum richtungsweisende Vorhaben und Ideen auftauchen (jenseits des Niveaus von »sehr interessant«), können wir auf diese Weise noch ein paar Jahre die Transformationsgesellschaft vorbereiten. Allerdings nicht machen. Aber genau das könnte das Ziel dieses Programms sein.

1. Wirtschaft

In der Wirtschaft brauchen wir einen System-Wandel, einen nächsten Kapitalismus: etwa ein anderes Wachstumsmodell und Firmen, die führungsstrategisch und unternehmenskulturell willens und in der Lage sind, das umzusetzen. Und Kunden, die dabei mithelfen – in breiter Masse. Denn Firmen und Kunden, Anbieter und Nachfrager, sind das System. Wer genau ist das, wo sind diese Leute? Das gehört zur Purpose-Frage der Wirtschaftswelt. Cov19 hat in vielen Organisationen in einem immensen Schub deutlich werden lassen, was im Argen liegt, bemessen an bisherigen Führungskriterien: Es fiel auf, was eigentlich nicht gut läuft, bisher jedoch unter dem Deckel blieb. Was aber ist mit künftigen Führungskriterien: denen, die wir bräuchten in einem nachhaltig wirtschaftenden, globalen, deutlich resilienteren System? Woher kommen diese Kriterien, wer definiert sie? Wir diskutieren über Grundeinkommen, neuartige KPI’s und agiles Enabling – wo ist der Rahmen, der all dies konsistent bindet? Dieser Rahmen muss nicht nur digital, ökologisch und sozial Sinn ergeben – er muss erst einmal rein logisch sinnvoll sein, verstehbar und jedem plausibel zu machen. Er muss unseren europäischen Vernunftkriterien entsprechen. Und genau dafür müssten wir geistig ein wenig arbeiten. Davon sind wir Äonen entfernt. (Beispiele gibt's übrigens, für Wirtschaft und Politik jeweils eines hier.)

2. Politik

In der Politik brauchen wir andere Formen von Regierungshandeln und Rechtfertigung, von Repräsentation und Fachexpertise im Parlament. Wir werden absehbar über Fragen wie KI-Ethik oder die künstliche Erschaffung von Leben zu entscheiden haben. Woher soll das erforderliche Wissen über solch komplexe Fragen kommen? Nicht die Parlamentarier wären zu dumm dafür, sondern unser Institutionensystem ist mit der Organisationen solchen Wissens hoffnungslos überfordert: Dafür ist es schlicht nicht gemacht. Unsere Demokratie funktioniert strukturell gut, läuft jedoch mental auf Schienen aus dem 19., teilweise auch schon aus dem 20. Jahrhundert (Einpreisung der Weimar-Erfahrung). Viele Menschen fühlen sich heute vom System nicht mehr repräsentiert. Und ein Denken in Legislaturperioden, über 4-5 Jahre, in denen sich unsere Führungskader für Langfristverantwortung systematisch wegducken können, ist in einem nachhaltigen System vom Prinzip her nicht mehr möglich. – Das sind Purpose-Fragen des politischen Systems. Wir können nicht erkennen, dass Sie öffentlich auch nur gestellt würden. Bevor dies nicht geschieht, braucht man mit Gerechtigkeitsfragen (!) gar nicht erst anzufangen.

3. Wissenschaft

In der Wissenschaft werden wir dem wohlfeilen Gerede über Trans- und Interdisziplinarität Taten folgen lassen müssen, wenn es mit der Transformation einmal ernst werden sollte. Bis heute laufen Naturwissenschaften einerseits sowie Sozial- und Geisteswissenschaften andererseits im wesentlichen parallel – korrekt formuliert: aneinander vorbei. Letztere ignorieren bis heute das, was in der Physik vor 100 Jahren passiert ist (Quantenmechanik, Relativitätstheorie) im Grunde vollständig und reformulieren unbeeindruckt den universalistischen Geltungsanspruch, nutzen eine aristotelische, zweiwertige Logik, Wissenschaftskriterien wie Objektivität oder Reliabilität und so weiter. Unsere Wissenseliten tun so, als ob diese Weiche die reale Welt nichts anginge, was scheinbar ja auch stimmt: Es berührt uns nicht, ob und wie »Quanten« springen, was »Superpositionen«  sein mögen oder genau bedeuten. Dabei stehen wir dank derjenigen Technologien, die sich aus eben dieser Wissensrevolution ergeben, kurz davor, dass unsere Gattung extraterrestrisch wird: Wir werden in den nächsten 30 Jahren erstmalig die Erde mit ernsthaften kolonialistischen Motiven verlassen (Unterschied zur Mondlandung). An der Mars-Mission der Amerikaner konvergieren ganz konkret alle menschlichen Wissenskulturen. Was sagen unsere Geistes- und Sozialwissenschaften zu dieser anthropologischen Zäsur? Wir sind geistig schon lange nicht mehr auf der Höhe unserer Technologien. Das ist eine der Purpose-Fragen dort. (Wir verkneifen uns aus Platzgründen die alles überwölbende Gretchenfrage zu diesen Absehbarkeiten.) Macht ein solches Wissenschaftsverständnis noch irgendeinen Sinn? Hilft es unserer Zivilisation, hilft es für nächste Wenden und Weiterentwicklungen?

... soll heißen:

Wenn dem Fuchs die Trauben zu hoch hängen, sind sie eben sauer: »Das ist doch alles akademisch!«

Kann sein. Wir glauben das nicht. Wir glauben eher, dass sich unsere Gesellschaft in Sachen Transformation über diesen albernen Wertungsreflex einen schlanken Fuß macht – und die Transformation, zumindest derzeit, zwar diskursiv in aller Breite inszeniert, praktisch jedoch unterbindet. Weil sie sie schlicht nicht will. Deutschland (und mindestens der Großteil Europas) will etwas anderes: aus rationaler Notwendigkeit (»muss ja«) im bestehenden Weltbild, mit etabliertem Denken, im traditionellen Verhaltensmuster, eine andere Welt. Ob das funktioniert? 


Das Ganze kompakt in 4.35 Min. auf Youtube. Das verdeckte Thema hier heißt selbstverständlich Führung - in allen drei Bereichen (und noch ein paar anderen).


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REIHE DURCHBLICK: Sorgt Homeoffice für eine neue Arbeitskultur? https://www.denkenaufvorrat.de/blog/hybride-arbeitskultur/ https://www.denkenaufvorrat.de/blog/hybride-arbeitskultur/#comments Tue, 28 Sep 2021 15:44:00 +0000 https://www.denkenaufvorrat.de/blog/hybride-arbeitskultur/ Weiterlesen

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Über den weitgehenden Totalausfall der Expertenkultur zu nach-pandemischem Arbeiten

Worum geht’s?

Zur Zeit kursieren zahlreiche Umfragen zur Attraktivität von Büro- bzw. Präsenzarbeit versus Homeoffice, also Remote Work. Die Mehrheit der befragten Mitarbeiter* wünscht sich für die Zukunft ein hybrides Arbeiten (nur ein Beispiel unter vielen) – einen Mix aus Büroarbeit mit Kollegenkontakt einerseits und Konzentration zu Hause andererseits. Ist das nun eine Revolution, lediglich ein Baustein aus ihr oder gar nur ein vorübergehendes Modernisierungslüftchen? Wie radikal ist dieser Wandel?

Falsche Frage

Seine Hintergründe stehen eher nicht in Presse und Medien: Die Resonanz von den Führungsebenen ist sehr gemischt. Einige haben Angst vor schleichendem Kontrollverlust, andere machen sich Sorgen über die Qualität von Kommunikation und Informationsfluss, wieder andere fürchten um die Mitarbeiter*-Bindung. Und was sagen die Experten*? »Lernt, nonverbales Verhalten zu deuten! Professionalisiert eure Meetingformate und Kommunikations-Skills! Investiert in Vertrauen!« Diese Antworten sind nur leider keine auf die zentrale Frage, die nicht gestellt werden darf bzw. kann: »Ist es in meiner Organisation eigentlich klug und vorausschauend, mich als Führungskraft auf hybrides Arbeiten einzulassen?« Denn die hier Pate stehenden Sorgen und Unsicherheiten werden öffentlich nicht artikuliert, alles Tabus. Inwiefern – und worum geht es dabei? Zum Beispiel um

Gender-Roles. Manager, insbesondere Männer, haben die Dinge im Griff zu behalten, das ist ihr Job. Die Sorge, das gerade nicht zu haben, gehört nicht zur Job-Description. (Naive denken vielleicht, Agilität und Vertrauenskultur sollten derlei doch gerade abfedern. Irrtum: Die Objekte, die es im Griff zu behalten gilt, wechseln nur – das ist alles. Ab jetzt behalte Agilität und deine Vertrauenskultur im Griff, nicht mehr jeden Einzelnen und jedes Detail ihrer Tätigkeit. Das Muster bleibt, nur die Tools wechseln – und mit ihnen sollst du bitte sehr noch bessere Resultate erzielen.)

Kultur. Ohne soziale Offenheit und das, was andauernd eingefordert wird in den Organisation: Vertrauen zu schaffen und ein gutes Team-Klima, funktioniert gemeinsames Arbeiten nicht produktiv. Einige geben zu Protokoll, im eigenen Team sei das unter Corona sogar besser geworden: Man habe sich zusammengerauft, es seien neue Bindungen entstanden. Häufig gilt das jedoch nicht für die eigene Ebene, auf dem gleichen Level, seitwärts. Man macht den Mund nicht auf: Jeder grübelt für sich. Sich nur keine Blöße geben.

Fehlende Lernkurve, Unsicherheit. Wer hat schon vor der Pandemie mit seinen Mitarbeitern über sinnvolle Meeting-Agenden gesprochen, über das Redeverhalten im Team (wer wie lang redet, Moderationen, Reihenfolgen, Präferenzordnungen usw.), über Gemeinschaftsgefühl, Zusammenhalt, nonverbales Verhalten, die Wirkung einzelner Meeting-Details? Nicht jede Führungskraft fühlt sich mit Themen, die die Basis für jedes Vertrauen bilden, bereits wohl.

Fehlende Planungsgrundlagen – Angst vor der Zukunft. Ein Hot Spots aus der Schweige-Ecke.

  • Wie lange dauert die Pandemie noch? Führungskräfte wissen das selbst nicht.
  • Will ich die neue Hybrid-Kultur eigentlich? Oder nicht doch lieber schnellstmöglich eine Normalität zurück, die sicher ist i.S.v. einschätzbar, kalkulierbar?
  • Was hat die oberste Etage in Sachen Arbeitsweisen, Change, Strategie vor? Planen die überhaupt mit mir?
  • Lohnt es sich also, mich auf diese neue Situation einzulassen? Je nachdem, wie es bei uns strategisch weitergeht, würde ich das eventuell gar nicht mitgehen wollen. Erst mal möglichst unaufwändig mitmaggeln, Führen auf Sicht.

Und so weiter. Diese reflexive »Stillarbeit« ist vernünftig und situationsadäquat. Leider ist es aber auch genau dieses komplexe, vielschichtige Schwarze Tabu-Loch an Unklarheiten und nicht artikulierten Gefühlslagen, das uns gerade einsaugt. Dass hier von informierter Seite Licht hineingebracht würde, ist bislang nicht erkennbar; im Gegenteil. Unsere Experten kommen kaum zur Ruhe vor lauter Tipps und Tricks, wie hybride Arbeitskultur gut funktioniere. Reaktionsmuster: sich doof stellen. Fleißig mit am Tabu bauen. - Glaubt jemand, auf dieser Basis würde eine gesunde, nachhaltige hybride Arbeitskultur entstehen?

Schlussendlich: Was tun wir in dieser Situation?

Wir tun das, was wir immer tun, wenn's eng wird: Wir machen weiter mit dem, was wir nur können und gelernt haben, framen aber dessen Bedeutung um. Wir praktizieren das Gehabte, inklusive aller Tabus und Hintergrund-Sorgen – geben dem Ganzen aber wenigstens einen neuen Namen, deuten es irgendwie moderner. Aktuell: Ab jetzt alles »hybrid« (= 1-2 Tage Homeoffice), der Rest wie gehabt. Das ist dann #NewNormal. Und irgendwie stimmt es ja auch: Unser altes Normal bekommt einen geänderten Anwesenheitsplan verpasst, das ist neu.


Antwort auf die Beitragsfrage also: Nein. Natürlich nicht, wie sollte es. Konstruktive Gegenbeispiele hier. Wer sich für ein #BetterNormal interessiert: In 8 Min. als akustischer Crashkurs auf Youtube. Denn was in vielen Firmen hülfe, ist nicht die Seminarimpfe in nonverbalem Verhalten und Remote Leadership, sondern ein substanzielles Verstehen, was hybrides Arbeiten ursprünglich eigentlich sein wollte, erreichen sollte und aus welchen Erfordernissen es entsprang. Warum wir das Ganze überhaupt angezettelt haben. (Nicht wegen der Anwesenheitsliste.)


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REIHE DURCHBLICK: Postpandemische Wirtschaft. Was kommt auf uns zu? https://www.denkenaufvorrat.de/blog/postpandemische-wirtschaft/ https://www.denkenaufvorrat.de/blog/postpandemische-wirtschaft/#comments Tue, 21 Sep 2021 15:19:00 +0000 https://www.denkenaufvorrat.de/blog/postpandemische-wirtschaft/ Wuhan, Ökologie) die Zukunft schwierig wird. [...] ]]> Worum geht's?

Um Remote Leadership, hybrides Arbeiten und Digitalisierung nicht. Wissenschaftliche Zukunftsforschung nimmt Anthropologie ernst: Krisen verändern Menschen. Uns interessiert, was in der Krise passiert ist, das das Morgen qualitativ verändern wird. Die Deutschen wollen das gerade nicht hören, sie sind müde, also nutzen sie »alte« Vor-Corona-Themen, um ihren Wissensdurst zu befriedigen (»Digitalisierung, Ökologie und mehr Gerechtigkeit: Jetzt erst recht!«). Zukunft als Leerstelle - reicht das?

Es ist insofern schon einmal ein Geistesblitz, als dass uns aufgefallen ist, dass ohne eine Modernisierung etwa des Gesundheitssystems (Digitalisierung) oder eine substanzielle Veränderung der industriellen Massentierhaltung (-> Wuhan, Ökologie) die Zukunft schwierig wird. Insofern ist der Mainstream-Chor nicht konkret »falsch«. Bloß ist dies der uninteressantere Teil.

Zwei Beispiele aus dem interessanten:

  1. »Impetus«: Geist, Herz, Mut. Wir müssen raus aus dem Pandemieloch. Hat jemand eine Idee, wie? Unsere Fachleute für derlei (aus den geistig-geistlichen Institutionen) haben jedenfalls keine. Der Bundespräsident stellte recht spät in der Pandemie für die Verstorbenen eine Kerze ins Fenster, immerhin. Der Rest, etwa in den Kirchen, war Schweigen (offenbar haben dort während der Pandemie alle Wittgenstein gelesen). – Was tun also die Menschen in einem immer größer werdenden, Sinn verschluckenden, öffentlich tabuisierten psychischen Vakuum? Sie fangen an, sich ihren eigenen Sinn zu bauen. – Ist das nun endlich der Durchbruch zu dem vielbeschworenen Neuen Denken, das gefühlt von jede*m in diesen Tagen eingefordert und beschwatzt wird? Leider nicht. Denn die Leute glauben inzwischen an alles Mögliche: Chemtrails, nachtaktive Echsen in Menschengestalt und sedierte „Schlafschafe“. So geht geistiger Niedergang – aber wer mag das aussprechen? Und wo sind unsere »Experten« plötzlich alle hin?
  2. Wir brauchen andere Institutionen. Gesundheitswirtschaftliche, zum Beispiel, das wurde offensichtlich. Aber auch in der Politik wachsen in der gesamten westlichen Welt die Zweifel an den Grundpfeilern des Systems, nicht nur rechts außen. Zwar gilt unzweifelhaft: Unser System hat im Prinzip gut funktioniert, in vielerlei Hinsicht. Demokratie hat es geschafft, diese schwierige Lage bisher leidlich gut zu meistern. Was wir aber auch – so deutlich wie nie zuvor – gesehen haben, sind die Schwach-stellen des Systems. Und die betreffen seit der Pandemie eben nicht mehr nur Repräsentationsprobleme, den Akademiker-Bias in hierarchischen Entscheidungspositionen oder zunehmende Ungleichheit, sondern ab jetzt auch globalisierungsbedingte Abhängigkeiten, die schnell real lebensgefährlich werden können (Masken, medizintechnische Geräte, Lieferketten–Problem usw.). Sie betreffen einen bestürzenden blinden Fleck in Bezug auf die Bereitschaft zur Generativität. Zur Sorge, zur Achtsamkeit und zum Schutz unserer Nachkommenschaft. Wie gehen wir mit Kindern um? Wie sichern wir das Band der Gattung – sichern wir es gerade überhaupt? Und falls ja: wie? Die systemischen Schwachstellen betreffen eine tiefgelegte, nahezu lethargische Gleichgültigkeit gegenüber zahlreichen Bedingungen des westlichen Lebensstils (von Bildung bis zu Pflege), usw. (Unser Blick auf die transformatorischen Erfordernisse der Politik hier.)

Falls jemand ein Themenportfolio entwickeln möchte unter der Überschrift »Welche Themen in einem pandemischen Wahlkampf in Deutschland nichts zu suchen haben«, hätten wir noch ein paar Vorschläge mehr. Bloß unter die Teppichkante damit.

Was kommt auf uns zu?

Solche Schwachstellen beseitigen, ganz einfach. Die Frage ist im Grunde banal und dumm, weil die Antwort jede*r kennt. Der Kaiser ist nackt, aber keiner sagt’s. Wollen wir die Postfaktizität weiter wachsen lassen, warten, bis die junge Generation sich vom System abwendet? Aus zukunftsforscherischer Sicht (die zeitlogisch arbeitet und anthroplogie-nah aufgestellt ist) sind die derzeit gesuchten Antworten kein Hexenwerk – so seltsam oder gar vermessen sich das anhören mag. Ändern können wir bloß nicht: Systeme, Strukturen, Prozesse, Bedingungen und Voraussetzungen - das ist elaborierter Code als Tarnanzug für Praxisvermeidung. Ändern können wir: Zugang, Perspektive, Sinnkorridor, Haltung, Präferenzen, Fokus. Zukunftsforscher arbeiten deshalb (zum Beispiel - das würde sonst diesen Beitrag sprengen) mit dem, was der Mainstream geradezu verbietet und was der Wahlkampf aus gutem Grund komplett tabuisierte: Wir antworten überhaupt nicht, sondern investieren viel Energie, um erst einmal die richtigen Fragen herauszubekommen. Und bereits an dieser Stelle sind die meisten schon wieder durch die Tür („oh je, das kann ja dauern. Ruf mich an, wenn sie fertig sind“). Deutschland produziert aus Tradition Antworten; bei Fragen stehen andere oben auf dem Treppchen. Unsere Legitimation dafür, die Deutsche für logisch halten, lautet: Bloß nicht »noch mehr« Fragen, wir haben doch schon genug! Und genau der Bumerang, der hier losfliegt, kommt nach Corona wieder auf uns zu.

Tja, liebe Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, so geht geistige Arbeit. Anstrengend, zeitaufwändig, langsam. BWL ist schneller, KI noch schneller. Wir haben die Wahl. Bloß der alte Kalauer, man könne noch nicht wissen, was kommt, der funktioniert inzwischen definitiv nicht mehr, denn auch das ist logisch (freilich bereits die nächste Logik): Wenn ich nicht weiß, was überhaupt die adäquate Frage ist, sind meine Antwortstapel irrelevant. Aber wenigstens sind dank Stapelproduktion erst mal alle beschäftigt.

Crashkurs in Sachen Post-Corona-Wirtschaft am 14.2.22 online-live.

In 11.30 Min. dieser Beitrag auch auf Youtube


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